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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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gejagt hatten, zu beschämt, um irgendwo in der Nähe Rast zu machen, zu erregt, um Ruhe zu finden. Tags zuvor hatte er am Nachmittag ein paar vertrocknete Hagebutten gegessen und morgens eine Hand voll Wasser getrunken. Er fühlte sich etwas besser, obwohl ihm immer wieder die Beine versagten und er sich bäuchlings im Staub liegend wieder fand. Er wünschte sich nur, endlich wieder zu Hause zu sein. Sein verwundetes Herz sehnte sich nach dem tröstlichen Anblick seiner Familie, sein knurrender Magen nach einem saftigen Stück Wildbret.
    Eine Gruppe von Wildpflaumenbäumen säumte seinen Weg. Die größten Bäume ragten fünf bis sechs Manneslängen in die Höhe, die obersten Äste waren ineinander verschlungen und bildeten ein grünes Blätterdach über dem Weg. Durchscheinendes Sonnenlicht sprenkelte den Boden, als hätte dort jemand goldene Bernsteinsplitter verstreut. Während er über einen abgebrochenen Ast hinwegstieg, stützte er sich mit der Hand an einem der Pflaumenbäume ab. Er fühlte sich kühl an. Die dünne, graubraune Rinde war an einigen Stellen abgeblättert und darunter das dunklere Holz sichtbar. Die Knospen an den äußeren Fingern der Äste hatten sich im Winter braun verfärbt. In weniger als drei Monden jedoch, wusste er, würden diese Knospen in einem saftigen Grün leuchten und bald darauf den Baum in eine weiße Blütenpracht hüllen.
    Sperling sehnte sich nach dem Frühling. Nein, eigentlich sehnte er sich nach jedem beliebigen Ort zu jeder beliebigen Jahreszeit, nur weit weg von dem Ort, an dem er sich im Augenblick befand. Das hämische Lachen von Rufender Falke klang ihm immer noch genauso im Ohr wie das Kichern aus Lahmer Hirschs Hütte.
    »Was ist nur los mit meinem Geisterhelfer? Kann er denn nichts richtig machen?«
    Oder führte der boshafte Junge Sperling nur an der Nase herum, weil er ihm Demut beibringen wollte? Der Junge hatte ihn bisher nie direkt angelogen, jedenfalls nicht, soweit Sperling wusste, aber er vermittelte ihm häufig die Traumbilder auf eine Art, dass Sperling alle Mühe hatte, ihre Bedeutung zu begreifen. Wenn Sperling den Traum falsch deutete, brüllten die Leute vor Lachen und verunglimpften ihn, nannten ihn einen Einfaltspinsel oder einen Verrückten.
    Verdrossen stieß Sperling mit der Spitze seines Mokassins einen von einem Eichhörnchen angeknabberten Pflaumenkern vor sich her.
    Im Grunde musste sich Sperling die Schuld an seinem lächerlichen Ruf selbst zuschreiben, doch andererseits hatte Staubmond hatte ihrerseits auch herzlich wenig dazu beigetragen, ihn zu unterstützen. Im Gegenteil. Jedesmal, wenn Sperling einen Fehler machte, sah sie zu, dass jedermann im weitesten Umkreis davon erfuhr.
    Unbeirrt schritt er aus, überquerte einen Grasbewachsenen Hügel und folgte dem Weg entlang einem Bach. Das kristallklare Wasser plätscherte über Kiesel und kleine Steinbrocken dahin, die aufspritzenden Tropfen glitzerten im Schein von Großvater Tagbringers strahlendem Gesicht. Über ihm stießen drei Raben ihre krächzenden Rufe aus. Sperling legte den Kopf in den Nacken und spähte hinauf. Die großen Vögel flatterten in Richtung Süden, ihre schwarzen Körper schimmerten wie Pech vor dem azurblauen Himmel.
    »Du kannst Staubmond keinen Vorwurf machen«, rügte er sich selbst. »Das ist dein Problem, nicht seins.«
    Der Schmerz, der jetzt schon seit zwei Wintern in Sperlings Herz schwelte, erwachte wieder zum Leben. Er vermisste sie. So sehr, dass er es manchmal kaum aushalten konnte. In den fünfunddreißig Wintern, die sie zusammen verlebt hatten, war sie ein Teil von ihm geworden - der Teil, den er nicht missen mochte. Gemeinsam hatten sie vierzehn Kinder gezeugt und über den Tod von dreizehn getrauert. Sperling hatte sie aus tiefstem Herzen geliebt - bis vor elf Monden, als sie ihn aus der Hütte warf, die er gebaut hatte.
    Das Scheitern ihrer Liebe hatte viele Ursachen. Jedesmal, wenn eines ihrer Kinder krank wurde, hatte Staubmond ihr ganzes Handeln und denken nur darauf verwandt, es wieder gesund zu machen. Sperling hatte bis vor kurzem nie darüber nachgedacht, doch jetzt war ihm bewusst geworden, dass sie, indem sie sich ganz und gar ihren Kindern widmete, ihn allein gelassen hatte. Furchtbar allein. Je mehr Kinder sie hatte, umso mehr verloren sie, und umso weniger Zeit konnte sie für ihn erübrigen. Gegen Ende war er hoffnungslos verzweifelt gewesen, hatte sich gefühlt wie ein ausgehungertes Tier im Käfig, das auf ein paar karge Essensreste

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