Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
Päckchen?«
»Maiskuchen.« Aschenmond nahm einen heraus und biss ein Stück davon ab.
Sperling fixierte den Kuchen mit einem sehnsüchtigen Blick. »Mit gerösteten Hickorynüssen?« Aschenmond nickte, verschloss das Päckchen wieder und steckte es zurück in ihr Bündel. Sperling riss mit den Zähnen ein Stück von dem zähen Fleisch ab und kaute.
Sie aßen schweigend.
Windmutter rauschte durch das Tal, rüttelte an den Bäumen, fegte über das gefrorene Gras und brachte den Kessel über dem Feuer zum Schwingen.
Aschenmond erschauderte. »Großer Panter, das ist vielleicht kalt.«
Sperling stand auf, nahm das Hirschfell, auf dem er gesessen hatte, und ging um das Feuer herum. »Ja, und Polterer ist bei diesem Unwetter draußen angepflockt, ohne einen Umhang oder eine Decke.« Er reichte ihr das Fell. »Wir sollten …«
»Behalte das Fell, Sperling. Du brauchst es genauso nötig wie ich.«
Er legte es ihr trotzdem über die Schulter. »Erzähl mir nicht, was ich brauche. Das weiß ich besser als du.«
Er ging zurück zu seinem Platz und verstaute die Teeschale in seinem Bündel. Der Himmel begann sich violett zu färben. »Morgenröte ist erwacht«, bemerkte er. »Wir sollten zusehen, dass wir die Kanus ins Wasser bringen.«
Obwohl sie ihren dicken Fuchsumhang und Handschuhe aus Wolfsfell trug, schien der kalte Wind auch die letzte Wärme aus Zaunkönigs Körper zu saugen. Schneeflocken fielen aus dem bleigrauen Himmel, schwebten lautlos hernieder auf die kahlen Äste des Sonnenjungen, setzten sich auf Zaunkönigs Gesicht und schmolzen glitzernd in ihren Wimpern.
Sie kniete sich vor Gauners Grab nieder. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Gauner. Ein Albtraum hat mich aufgeweckt. Der eiskalte Schweiß stand mir auf der Stirn, und ich weinte. Ich ich war wieder an dem Fluss, wo das Kanu meiner Eltern kenterte, ich wusste, dass meine Mutter tot ist und meine ganze Kraft mich mit ihr verlassen hat.« Der frisch gefallene Schnee füllte das eingesunkene Grab wieder auf. Sie schob ihn weg. »Ich war allein am Fluss und wusste nicht mehr, welcher Weg zurück ins Dorf führte. Aber ich habe dich bellen hören, Gauner, in weiter Ferne, und habe versucht, deiner Stimme zu folgen. Ich wusste, dass ich in Sicherheit wäre, wenn ich dich fände.«
Sie wischte sich mit dem Handschuh über die Nase und atmete stockend aus. Die Schneeflocken, die um sie herumwirbelten, waren so duftig wie aus den Wohnungen der Nachtwanderer geweht. Vier Hand hoch lag der Schnee inzwischen auf den Wiesen und schimmerte im blassen Morgenlicht wie weiße Federn.
»Ich habe vergessen, dir heute etwas zum Spielen mitzubringen, Gauner. Das tut mir leid. Aber morgen bringe ich dir … ja, da bringe ich dir deine Decke. Die wickle ich mir nachts immer um die Füße, aber ich glaube, du brauchst sie jetzt nötiger als ich.«
Zaunkönig blickte mit tränenfeuchten Augen auf Gauners Grab. »Erinnerst du dich an Polterer? Sie haben ihn dort angepflockt«, sie deutete auf die Stelle fünf Schritte von ihr entfernt. »Weißt du noch, wie er geweint hat?«
Zaunkönig schob ihre Hände unter ihren Fuchsumhang und erschauderte. »Ich fürchte, dass er …« Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Etwa zwanzig Schritte entfernt, weiter unten am Pfad, huschte etwas an den Bäumen vorbei. Sie hielt die Luft an, lauschte, spähte um sich. Wahrscheinlich ein Reh, dachte sie.
Wieder wischte sie den Schnee von Gauners Grab. »Polterer steckt in großen Schwierigkeiten«, wisperte sie. »Ich befürchte, dass er stirbt. Ich weiß, dass dies der Wille unseres Volkes ist, Gauner, aber er hat nichts verbrochen, wofür er den Tod verdient hätte. Ich glaube, dass Moosschnabel, Schädelkappe und Weißer Reiher einfach so gestorben sind. Das passiert eben. Manchmal sterben Menschen ohne jeden Grund. Meine Eltern und Himmelsbogen zum Beispiel.« Und mit sanfter Stimme fügte sie hinzu: »Und du auch.«
Sie erschauderte erneut und flüsterte: »Ich habe schreckliche Gedanken gehegt, Gauner. Ich möchte Dinge tun, von denen ich weiß dass sie falsch sind. Dinge, die mir eine Menge Ärger einbringen werden. Schließlich habe ich bereits zwölf Sonnenzirkel gesehen und sollte meinen Platz und meine Pflichten innerhalb unseres Klans kennen. Aber ich …«
Zaunkönigs Kopf fuhr abermals herum. Mit zunehmendem Tageslicht verschwanden die Schatten und gaben zwei schemenhafte Gestalten preis, die aussahen wie zwei Männer. Große Männer. Sie standen
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