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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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konnte nur einen Menschen meinen.
    «Ma   … Marty.»
    Ich fühlte mich wie betäubt. «Wie   … Hat die Polizei ihn gefunden?»
    Es dauerte einen Moment, bis sie die Worte herausbekam. Ich wartete angespannt. «Nein   … nein, aber er ist tot. Ich   … ich   … ich weiß es!»
    Vor lauter Erleichterung wurde mir schwindlig. Für einen schrecklichen Augenblick hatte ich befürchtet, seine Leiche sei
     entdeckt worden. Doch dann hätte sie es gleich gesagt. Was sie gesagt hatte, basierte auf Überzeugung, nicht auf Fakten.
     «Aber nein. Sagen Sie so etwas nicht.»
    Sie wischte sich wie ein kleines Kind mit der Hand über die Augen und wurde von Schluchzern geschüttelt. «Doch. Er ist tot.
     Ich
weiß
es!»
    Ich ging zögernd einen Schritt auf sie zu. Ihr Weinen zermürbte mich. «Das können Sie doch nicht wissen, Anna.»
    «Do   … doch.» Sie schlang die Arme um sich. «Wir wollten heute nach Ame   … nach Amerika gehen.»
    Da verstand ich. «Ach, Anna, das tut mir so leid. Daran habe ich nicht gedacht.»
    «Wenn er noch leben würde, hä   … hätte ich mittlerweile etwas von ihm gehört.»
    Ich suchte nach den richtigen Worten. «Vielleicht hat er das Datum vergessen.»
    |274| «Nein   … nein, das hä   … das hätte er nie vergessen. Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass wir doch noch irgend   … irgendwie gehen würden, dass er vorher zu   … zurückkommt, aber jetzt weiß ich, dass er nicht   … dass er nicht mehr kommen wird. Das Flug   … Flugzeug ist vor einer Stunde gestartet, und da wu   … wusste ich   … dass   …»
    Sie brachte kein Wort mehr hervor. Das Schluchzen hatte sie völlig überwältigt. Als ich ihr vorsichtig eine Hand auf den Arm
     legte, rückte sie näher und legte ihr Gesicht an meine Schulter. Nach kurzem Zögern nahm ich sie in den Arm. Ich konnte ihren
     warmen, feuchten Atem und ihre heißen Tränen durch mein Hemd spüren. Ich streichelte ihr den Rücken und spürte die Wärme
     ihrer Haut unter dem dünnen Stoff. Sie hatte sich mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers an mich geschmiegt. Ihre Brüste drückten
     gegen meinen Oberkörper. Ich schloss die Augen. Erst als ich die Türglocke hörte, machte ich sie wieder auf: Ein Paar stand
     in der Galerie und starrte uns an.
    «Wir haben geschlossen», sagte ich. «Könnten Sie später wiederkommen?» Sie gingen missmutig davon. Es war mir egal. Ich war
     stolz, Anna in den Armen zu halten.
    Doch als sie nicht aufhörte zu schluchzen, wurde ich zunehmend besorgter. Während die Minuten verstrichen, ohne dass es
     besser wurde, musste ich mir eingestehen, dass ich der Situation nicht gewachsen war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie
     trösten sollte. Sosehr ich sie auch für mich haben wollte, mir wurde klar, dass ich Hilfe brauchte. Der einzige Mensch,
     der mir in den Sinn kam, war Debbie, die junge Frau, die ich in Annas Wohnung kennengelernt hatte. Als ich Anna nach der
     Telefonnummer ihrer Freundin |275| fragte, wurde ich nicht schlau aus ihrem Gestammel, sodass ich sie schließlich auf einen Stuhl setzte und ihre Handtasche
     durchsuchte. Die Nummer der jungen Frau stand in einem kleinen Adressbuch, in dem Anna ihre Freunde glücklicherweise nach
     ihren Vornamen aufgelistet hatte. Ich sprach leise, als ich Debbie bei der Arbeit anrief und ihr schnell die Situation erklärte.
     Meine frühere Eifersucht auf sie war völlig verschwunden. Ich war nur erleichtert, als sie sagte, dass sie sofort kommen
     würde.
    Anna warf sich ihrer Freundin um den Hals, kaum dass sie da war. Ich stand verlegen daneben, während Debbie fast genauso
     hemmungslos zu weinen begann. Dann fuhr ich die beiden zu Anna und brachte sie in die Wohnung, verabschiedete mich aber so
     schnell wie es der Anstand erlaubte. Ich wurde nicht gebraucht. Außerdem fühlte ich mich bei solch nackten Gefühlsausbrüchen
     unwohl.
    Als ich davonfuhr, fühlte ich mich angespannt und ausgelaugt. Automatisch fuhr ich Richtung Galerie, doch auf halbem Weg
     merkte ich plötzlich, dass ich keine Lust hatte, den Rest des Tages dort zu verbringen. Ich würde nur die ganze Zeit an
     die Ereignisse des Morgens denken müssen. Ich spürte, dass ich eine Pause brauchte, eine Auszeit, um nach dem emotionalen
     Aderlass wieder zu mir zu kommen.
    Früher hätte ich mich zur Erholung ein oder zwei Stunden in eine der großen Galerien zurückgezogen. Doch jetzt übte der Gedanke,
     weitere Gemälde anzustarren, wenig Reiz auf mich aus. Ich zerbrach

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