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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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aufzuhalten, und selbst wenn es nicht so wäre, könnten wir nicht mehr tun, um
     ihn zu finden, als wir bereits getan haben. Es tut mir sehr leid für |270| seine Freundin. Mir tun auch all die anderen Freundinnen, Freunde, Ehefrauen, Ehemänner, Eltern und diverse andere Familienmitglieder
     leid, die einen Angehörigen vermissen. Und davon bearbeiten wir allein in dieser Abteilung mehrere hundert. Viele davon sind
     schon wesentlich länger als vermisst gemeldet als Miss Palmers Freund. Und im Moment mache ich mir am meisten Sorgen um ein
     kleines Mädchen mit einer leichtfertigen Mutter und Diabetes.»
    Ich hörte ihn atmen. «So. Ist die Situation damit eindeutig für Sie erklärt?»
    Allerdings. Eindeutig genug, um über seine herablassende und leicht verächtliche Art hinwegzusehen. «Ja, ich glaube schon.
     Vielen Dank. Entschuldigen Sie die Störung.»
    Er wurde etwas weicher. «Sagen Sie Miss Palmer, dass wir alles tun, was wir können. Wenn wir etwas erfahren, sagen wir
     ihr sofort Bescheid.»
    «Das werde ich.» Ich verabschiedete mich und legte auf. Ich wartete einen Moment, ehe ich wieder nach unten ging und Anna
     gegenübertrat, um meine Euphorie ein wenig abklingen zu lassen. Ich hatte keinen Zweifel mehr daran, dass Martys Schicksal
     für immer ein Rätsel bleiben würde. Der Weg war endlich frei.
    Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit.

[ Navigation ]
    |271| Kapitel 19
    Für Anna ließ der letzte Nagel in Martys Sarg nicht lange auf sich warten. Seine Kontoauszüge und die daraus folgende Gleichgültigkeit
     der Polizei hatten sie hart getroffen, und ich hatte ihre zunehmende Verschlossenheit darauf zurückgeführt. Da ich den zeitlichen
     Überblick verloren hatte, wurde mir die Bedeutung des Datums erst bewusst, als sie mir eines Morgens Kaffee auf den Schoß
     kippte.
    Ich telefonierte gerade, als sie in die Galerie kam, und hatte deshalb nicht sofort bemerkt, in welcher Verfassung sie
     war. Ich bedeutete ihr gestikulierend, dass ich Kaffee wollte, und zeigte auf die Maschine. Ich hatte sie zwar angestellt,
     doch ehe ich mir wie üblich eine Tasse schwarzen Kaffee einschenken konnte, hatte das Telefon geklingelt. Während ich dem
     Anrufer nur halb zuhörte, beobachtete ich geistesabwesend, wie sich Annas Baumwollkleid, das sie dank des wärmer gewordenen
     Wetters trug, beim Gehen an ihren Körper schmiegte.
    Sie verschwand im Küchenbereich. Ich konnte sie herumhantieren hören, und dann fiel krachend Geschirr zu Boden. Doch anscheinend
     war nichts kaputtgegangen, denn einen Augenblick später tauchte Anna wieder auf und kam |272| mit einer Tasse samt Untertasse zu mir. Ich bedankte mich nickend, jetzt wieder auf das Telefonat konzentriert, und als
     ich ihr die Tasse abnehmen wollte, stellte sie sich plötzlich ungeschickt an und kippte mir alles auf den Schoß.
    Als mir der brühend heiße Kaffee auf die Beine plätscherte, ließ ich das Telefon fallen und sprang auf.
    «Schnell, holen Sie einen Lappen!», rief ich und zog an meiner Hose, um den dampfenden Stoff von der Haut zu lösen. Anna
     rührte sich nicht. «Beeilen Sie sich!», blaffte ich sie an. Und hielt inne. Ihr Gesicht war verzerrt. Stumme Schluchzer ließen
     ihre Schultern beben, und dann sah ich, wie ihr Tränen die Wangen hinabströmten.
    «Tut mir leid.» Sie war kaum zu verstehen. «Tut mir leid.»
    «Schon gut, macht doch nichts.» Ich streckte mich und zuckte sofort zusammen, als der immer noch heiße Stoff auf meine Oberschenkel
     fiel.
    «Tut mir leid.» Sie schien nichts anderes sagen zu können. Ihre Arme hingen zitternd herab, als wüsste sie nicht, was sie
     mit ihnen tun sollte.
    «Nichts passiert. Es hätte schlimmer sein können.» Das hätte es tatsächlich. Auf meinem Schoß hatte ein aufgeschlagener Katalog
     gelegen, der den größten Teil des Kaffees abbekommen hatte.
    Aber meine Beschwichtigungen halfen nichts. Anna stand immer noch schluchzend da. Ich hob schnell den Hörer auf und sagte
     dem verwirrten Anrufer, dass ich später zurückrufen würde. Dann wandte ich mich unschlüssig an Anna. Während der letzten
     Wochen hatte ich einige Male erlebt, dass sie den Tränen nahe war. Doch so schlimm war es nie |273| gewesen. Sie war untröstlich. «Was ist denn? Was ist passiert?», fragte ich. Sie schien mich nicht gehört zu haben. «Anna,
     bitte, sagen Sie mir, was los ist.»
    Sie bebte am ganzen Körper.
«Er ist tot.»
    Die Worte versetzten mir einen Schock. «Wer ist tot?» Dumme Frage. Sie

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