VT01 - Eine Wunde in der Erde
Blütenblätter in die Luft, Männer klopften mit schweren Armreifen gegen die zeremoniellen Zierwaffen. Drei Jünglinge, denen erster Bartflaum die Oberlippe verunzierte, intonierten ein altes Volkslied.
Der vorderste Witveer kam herab, zog knapp über ihre Köpfe hinweg eine weitere Kurve. Instinktiv duckten sich die Kilmalier weg; auch die Gesänge der Jungen brachen für einen Moment ab, bis Omoko sie mit deftigen und eindeutigen Gesten aufforderte, weiterzumachen.
Was sind diese Tiere groß!, dachte Kinga erstaunt. Er hatte große Mühe, weiterhin unbeeindruckt zu wirken. Der beladbare Rumpf besitzt eine Länge von mindestens zehn Meter; mitsamt Kopf, Hals und Beinen ist ein Witveer mindestens noch einmal so lang.
Die beiden anderen Transportvögel glitten nun ebenfalls über sie hinweg, folgten den Leittier, das soeben mit weit ausgestreckten Flügeln auf dem ihm zugedachten Landeplatz die orangefarbenen Plattfüße absetzte.
Der Witveer krächzte, laut und durchdringend, schüttelte sein weißes Gefieder aus, warf sich in eine dramatische Pose. Der Lenker – ein kleiner gedrungener Mann von fast weißer Hautfarbe – hatte größte Mühe, das aggressive Leittier in eine hockende Position zu zwingen. Die Watschelbeine, jedes so groß wie ein Krieger, verschwanden unter dem Leib.
»Das ist das Weibchen«, flüsterte Zhulu Kinga zu. »Sobald es ruht, verlieren die dahinter fliegenden Männchen jegliche Aggressivität.«
Der Quarting behielt Recht. Die beiden Witveer landeten weich wie Federn, stießen sanfte Krächzer aus und zogen die Köpfe eng an den Körper.
Neuerlich gab Omoko ein verstecktes Zeichen. Die Kilmalier jubelten noch lauter, ließen Prinzessin Lourdes hochleben.
Das alte rostige Landegestell war in aller Eile für den hohen Besuch aufpoliert worden. Zwei Krieger schoben es mit hochroten Köpfen auf den mittleren Witveer zu. Ein Soldat der Prinzessin winkte sie herbei, warf mehrere Taue herab und hieß die Kilmalier, sie mit Pflöcken im Boden zu fixieren.
Fünf Minuten dauerte es, bis das Andockmanöver geglückt war. Der Witveer blieb ausnehmend ruhig, während ein Stützgeländer vom seinem Rückenzelt zum Landegestell hochgezogen wurde. Zwei ältere Soldaten mit langen, eindrucksvollen Bärten verließen das Zelt der Prinzessin als erste. Dahinter folgte ein Herold, der auf seinem krummen Horn eine grauenvolle Melodie trötete.
Ein Mann mit krummer Nase und fein ziseliertem Spitzbärtchen kam als nächster. Er hielt den Kopf weit gehoben, würdigte die jubelnde Menge keines Blickes.
»Das ist Lomboko der Raffzahn«, murmelte Loofte, die Feenans-Chefin. »Die Verachtung für alles Menschliche ist ihm ins Gesicht geschrieben. Er kennt nichts anderes als Berichte und Zahlen, arbeitet Tag und Nacht, scheut die Gesellschaft anderer.«
»Kennt er denn keine Vergnügungen?« , hakte Kinga nach. »Irgendetwas, mit dem man ihn bei den Eiern packen könnte?« Er suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Er spürte keinerlei Bedürfnis, der dicken Prinzessin zum Fraß vorgeworfen zu werden.
»Nichts, was uns wirklich weiterhilft«, gab Loofte zur Antwort. »Gerüchten zufolge hält er sich in der Himmelsstadt Masaai eine gut ausgestattete Kammer, in der er neueste technische Errungenschaften auf dem Gebiet der Folter ausprobiert.«
Kinga tat augenblicklich einen Schritt beiseite, vom Landegestell weg.
»Hier geblieben, tapferer Krieger!«, flüsterte Nabuu und hielt ihn fest. Das feiste Grinsen in seinem Gesicht zeugte von zutiefst empfundener Befriedigung. »Du sollst ja nicht mit ihm schlafen, sondern mit der holden Prinzessin.«
Ein entsetzlicher Ton durchschnitt die Luft. Die Kilmalier verstummten, blickten sich ratlos um. Hatte etwa einer der Witveer gefurzt?
»Kein Mensch kann verlangen, dass ich meine zarten Füße auf den Boden dieser stinkenden Ortschaft hinab bewege!«, erklang nun eine Stimme in ähnlicher Tonlage. »Soll ich mir denn alle Krankheiten holen, die im Erdkreis bekannt sind, und einen Fußpilz noch dazu?«
»Beruhigt euch bitte, Mademoiselle; man kann euch hören…«
»Das hoffe ich doch sehr! Jedermann soll wissen, dass ich entsetzt bin vom pöbelhaften Empfang, den man mir hier bereitet. Können wir diesen Ausflug nicht einfach abkürzen? Vielleicht nützt es etwas, wenn wir die eine Hälfte der Bevölkerung töten lassen und die andere in die Sklaverei verkaufen?«
»Euer Vater würde mit dieser Vorgehensweise nicht zufrieden sein, befürchte ich…«
Endlich
Weitere Kostenlose Bücher