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VT01 - Eine Wunde in der Erde

VT01 - Eine Wunde in der Erde

Titel: VT01 - Eine Wunde in der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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…«
    »… und Ihr prächtiges Haupthaar aufzutoupieren?« Neuerlich näherte sich Chérie, vorsichtiger diesmal. Sanft fuhr er mit seinen Fingern in das kurz geschnittene, fettige Haar und begann es sanft zu kraulen. »Ist es gut so?«
    »Ja«, seufzte Lourdes. »Das ist ausgezeichnet. Manchmal bedaure ich es sogar, dass du für meine Reize nicht empfänglich bist.«
    »Niemand kann sich in Schönheit und Liebreiz mit Ihnen messen, Mademoiselle; nicht einmal ihre Schwester Antoinette.« Chérie zog einen Hornkamm hervor, ölte ihn kräftig in einem Fetttopf durch und zog ihn schließlich durch das Haar seiner Herrin. Einen störenden Floh zerdrückte er und warf ihn achtlos zu Boden. »Doch Sie wissen sicherlich, dass meine Gelüste den strammen Gardeoffizieren Seiner Majestät gelten?«
    »… was nicht jedermann wissen sollte.« Lourdes kuschelte sich in das Stützpolster. »In vielen Teilen der Himmelsregion Masaai werden derartige Gelüste nicht geschätzt. Und auch hier, an Bord der Himmelsstadt, findest du nur wenige Sympathisanten für deine Vorlieben.«
    Chérie griff nach Honigpomade und verteilte sie auf dem Kopf der Prinzessin. »Das ist zumindest die offizielle Lesart, Mademoiselle. Wenn Ihr aber wüsstet, wie viele… Gleichgesinnte ich in schummrigen Ecken der Stadt finde, würdet Ihr euch wundern.«
    »Nun – darüber möchte ich mich jetzt nicht weiter unterhalten.« Lourdes räkelte sich, während ihr Lakai mit der allmorgendlichen Behandlung fortfuhr. »Du hast sicherlich unangenehme Neuigkeiten, was den heutigen Tagesplan betrifft?«
    »Es ist ein wunderschöner Tag, Mademoiselle, und es ist wohl an der Zeit, dass Ihr wieder mal einen Ausflug in die Euch anvertrauten Provinzen unternehmt…«
    »Die Himmelsstadt verlassen?« Lourdes sprang auf, schob ihren Lakai beiseite, störte sich nicht weiter an ihrer Nacktheit. »Hinab zu diesen stinkenden, primitiven Würmern soll ich? Meine zarte Haut den Witterungen aussetzen und die Demütigung einer Reise mit minimalem Gefolge erdulden?«
    »Beruhigt Euch bitte, meine Blume; zu viel Aufregung schadet Eurem zarten Teint!« Chérie packte ein bequasteltes Leinentuch und schob es über die Schultern seiner Herrin. »Selbstverständlich steht es Euch frei, hier zu bleiben und die üblichen Steuerbüttel auszusenden, die den Tribut für Euren Herrn Vater und Kaiser erheben. Doch bedarf es meiner Meinung nach von Zeit zu Zeit eines Exempels. Als Herrscher – als Vertreter eines Herrschers – muss man Betrug und Falschheit zuvorkommen. Uns wurde zugetragen, dass die Zahlungen in den Teilprovinzen Loosge, Ortjenhem und Kilmalie nur zögerlich und spärlich eintreffen.«
    »Was interessieren mich die kleinen Betrügereien, die irgendwelche Dörfler anstellen? Mein Herr Vater verfügt über genügend Reichtümer. Er wird nicht verhungern, wenn er dieses Jahr ein paar hundert Jeandors vermisst.«
    »Das ist, mit Verlaub, vielleicht ein wenig… kurzsichtig gedacht, Mademoiselle.« Rasch fuhr er fort, bevor Lourdes die offensichtliche Beleidigung mit einer Verschärfung des bereits mehrere hundert Male ausgesprochenen Todesurteils beantworten konnte: »Kaiser de Roziers Ratgeber sind begabte Halsabschneider und schlau genug, um zu wissen, in welchen Provinzen die Steuerflüsse stocken. Also werden sie dafür sorgen, dass diejenigen Himmelsstädte die Mindereinnahmen zu spüren bekommen.«
    »Du meinst, Vater würde Antoinette und mir das Luxusetat zusammenstreichen?« Lourdes fühlte, wie sich eine Gänsehaut über ihren Nacken hochzog.
    »Dieser Gedanke liegt nahe, Mademoiselle.« Auch der Lakai zog unbehaglich den Kopf zwischen die Schultern. »Es mag sogar sein, dass Sie auf mich verzichten müssen.«
    Lourdes ließ sich schwer auf ihre Lagestatt zurückfallen.
    Sie blickte sich um. Betrachtete Schminktöpfe, gefärbte Haarteile, silberne Pflegemesser, farbige Glasflakons, mit Diamantsplittern besetzte Spiegel, handgewebte Haarteppiche, hochgebundene Felle seltener Giraufen, das goldene Glockenspiel an der plüschbesetzten Eingangstür und die bunte Vielzahl prächtiger Kleider über all den Garderobenstangen.
    »Ich denke, ich werde deinen Rat befolgen, teurer Chérie«, sagte die Prinzessin schließlich. »Packe unser kleines Reisegepäck – bitte nicht mehr als dreißig Koffer –, benachrichtige Antoinette und lass die Witveer satteln.«
    »Und der mir anbefohlene Freitod, Mademoiselle?«, fragte der Lakai.
    »Ist vorerst aufgeschoben. Ohne dich und

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