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VT06 - Erstarrte Zeit

VT06 - Erstarrte Zeit

Titel: VT06 - Erstarrte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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sich auf und las noch einmal die ersten Zeilen seiner Chronik. »Postapokalyptische Zeit«, murmelte er. Das Wort gefiel ihm. »Ich bin ein postapokalyptischer Autor…« Er lachte wie ein Fieberkranker. »Nicht schlecht eigentlich.« Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Die Vorführung der Gefangenen und die Festnahme Eusebias hatten ihm den Rest gegeben.
    Hier ist ein Stück postapokalyptischer Literatur, fuhr er fort, und wenn mein Leser sich nun fragt, wie ein postapokalyptischer Autor sich fühlt so kurz nach dem Untergang seiner Welt, dann sage ich zum einen: Wie ein Mann, der seit Monaten auf den Abgrund zuschreitet und genau wusste, dass er den einen entscheiden Schritt zuviel tun würde, tun musste, und der sich nun im freien Fall befindet. Wissen Sie, verehrter Leser, wie man sich fühlt, wenn man fällt und fällt und fällt? Nur aus Albträumen, sagen Sie? Eben.
    Van der Groot atmete tief durch. Das Schreiben tat ihm gut, sein aufgewühltes Gemüt glättete sich mit jedem Satz ein wenig mehr.
    Und zum anderen: Der postapokalyptische Autor scheint nicht ganz ohne Optimismus zu sein. Bisher wusste er das selbst noch nicht, und auch jetzt weiß er von seiner völlig unbegründeten Hoffnung nur, weil er sich plötzlich eine postapokalyptische Chronik schreiben sieht. Würde ein Pessimist, ein Mann ganz ohne Hoffnung in meiner Situation etwa eine Chronik schreiben? Und Sie, mein verehrter Leser, werden auf meinen mir selbst verborgenen Optimismus schließen können, weil Sie nach der langen Nacht diese Chronik gefunden haben und offensichtlich die Kunst des Lesens noch – oder wieder – beherrschen. War meine Hoffnung also begründet oder nicht?
    Wieder richtete er sich auf, kaute an seinem Füllfederhalter und las die beiden letzten Sätze noch einmal. Sie gefielen ihm. »Lange Nacht«, murmelte er. »Ein gutes Wort.« Er beugte sich wieder über seine Pergamentkladde und setzte eine Überschrift über den ersten Absatz: Chronik einer langen Nacht, 8. Februar 2012.
    Nun aber zu den hässlichen Fakten dieses weltgeschichtlichen Augenblicks, fuhr er danach unten fort. Zumindest hier im Atombunker des tansanischen Präsidenten waren diese Fakten mehr als hässlich, und sie warfen ein grelles Licht auf meine Gattung.
    Er beschrieb die Minuten des Kometeneinschlags und den ebenso peinlichen wie gemeingefährlichen Auftritt Charles Poronyomas. Auch sich selbst schonte er nicht, sondern beschrieb ehrlich, wie er in den allgemeinen Beifall für den Kaiser mit einstimmte.
    Doch nur zur Tarnung verstecke ich mich noch unter den Parteigängern und Claqueuren des Größenwahnsinnigen, fuhr er fort. Im Geheimen arbeite ich hart an seinem Untergang, und ich bin nicht der Einzige, der das tut…
    Aber das ist Zukunftsmusik, bleiben wir noch bei den Ereignissen der Gegenwart und dieses denkwürdigen Tages. Die Menschen hier unten haben sich inzwischen in den Wohnbereich zurückgezogen. Der Kaiser hat Fred und Bodo angewiesen, Proviant für die nächsten drei Tage verteilen zu lassen. Eddie aus Rosenheim hat er in die Küche geschickt, damit er ihm Bratwürste mit Kartoffelpüree und Sauerkraut zubereitet. Nach Einnahme seiner Leibspeise will er sich mit seinem Dessert – zwei Models, die über eine Agentur in Stockholm den Weg zu uns gefunden haben – in sein Schlafgemach zurückziehen. Falls er trotz des Desserts keinen Schlaf findet, soll ihm sein Leibarzt ein speziell entwickeltes Schlafmittel reichen, und erst in drei Tagen, pünktlich zur Hinrichtung der armen Gefangenen, will er wieder geweckt werden.
    Sein Leibarzt bin übrigens ich, Professor Doktor Jan van der Groot, Autor dieser Chronik, und ich frage mich, ob ich diesem Schlafmittel nicht eine Überdosis Morphium hinzufüge. Wie aber werden die zahlreichen Parteigänger des Tyrannen reagieren, wenn er so rasch und durch meine Schuld an einem Atemstillstand stirbt…? Möglicherweise sollte ich mich doch lieber zuerst auf die Weiterentwicklung und Vollendung meiner Tiefschlafdroge konzentrieren, damit ich diese ganze widerliche Rattenbande für mindestens tausend Jahre in Morpheus’ Reich schicken kann…
    Schritte näherten sich dem Labor. Van der Groot horchte auf. Jemand klopfte an die Tür. »Moment noch!« Der Professor schloss die Kladde, schraubte den Füllfederhalter zu und verstaute beides in seinem Wandtresor. Dann erst öffnete er die Tür. Nacheinander huschten seine Mitverschworenen hinein.
    ***
    Kilimandscharo, 8. Februar 2012
    Einer

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