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VT06 - Erstarrte Zeit

VT06 - Erstarrte Zeit

Titel: VT06 - Erstarrte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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der Europäer, ein hagerer Deutscher namens Bert Krieger, erklärte bis in die Einzelheiten, was in den nächsten Wochen und Monaten auf die Erde zukam: Einschläge von Felsbrocken, die der Komet ins All geschleudert hatte, ein über dreihundert Grad Celsius heißer Orkan; anschließende Feuersbrünste; eine Flutwelle; Staub, Staub und noch einmal Staub; saurer schwarzer Regen; Dunkelheit, weil Staub die Atmosphäre sättigen würde; absinkende Temperaturen; Eiszeit und so weiter, und so weiter.
    Krieger war Oberstudienrat, wie sich später herausstellte.
    Kriegers halbwüchsiger Sohn, seine Mutter, der des Deutschen mächtige tansanische Führer seiner Safarigruppe und eine Handvoll Frauen aus der Schweiz und Österreich lauschten ihm atemlos. Sonst hörte ihm niemand zu. Auch Percival nur mit halbem Ohr.
    Nicht ganz dreihundert Menschen hielten sich in der Haupthöhle auf. Etwa hundert hatten sich tiefer ins Innere des Höhlensystems zurückgezogen. Noch keine Stunde war vergangen seit dem Kometeneinschlag.
    Thomas Frederic Percival lehnte gegen die Felswand und versuchte sich vorzustellen, er würde noch leben. Es gelang ihm nicht. In eine Decke gewickelt lehnte Leila Dark an seiner breiten Brust. Sie weinte leise in sich hinein. Auch das bekam Percival kaum mit. Er blickte sich um und versuchte zu fassen, was geschehen war.
    Viele Menschen saßen völlig apathisch herum. Vor allem die Mitglieder der Safarigruppe und die weißen Flüchtlinge aus Daressalam und den anderen Küstenstädten wirkten wie betäubt. Waren es Paare oder Familien, hielten sie einander fest, wie Percival und Leila einander festhielten. Einige, die allein waren, tranken aus Flaschen mit scharfen Getränken, die sie für diese Stunde gehortet hatten. Ein großer schlaksiger Bursche mit wirrem blonden Langhaar beugte sich mit einem abgeschnittenen Strohhalm über die Rückseite seines Handy und zog sich einen Streifen Kokain in die Nase.
    Percival bezweifelte, dass all diesen Männern und Frauen der Rausch weiterhelfen würde; es sei denn, sie soffen oder schnupften sich zu Tode. Er selbst verspürte erstaunlicher Weise nicht die geringste Lust auf Alkohol. Er verspürte auf gar nichts irgendwelche Lust, er spürte sich selbst ja kaum noch.
    Die meisten Afrikaner weinten und beteten. Einige waren auch aufgestanden, hatten sich in die Höhlenmitte begeben und tanzten dort wie die Derwische. Andere schlugen auf Trommeln, Töpfen und Koffern herum.
    Es waren zum größten Teil Kenianer, die das taten. Einer von ihnen hatte sich an ein traditionelles Ritual seiner Volksgruppe erinnert, irgendein Abwehrzauber gegen böse Geister. Percival wusste nicht, gegen welche, wusste auch nicht, welchem Volksstamm die Tänzer angehörten. Es interessierte ihn auch nicht. Der Komet war eingeschlagen, auf die Erde und in sein Gemüt – wofür sollte er sich noch interessieren? Das Leben war vorbei.
    Irgendwoher drangen Gesang und Musik an sein Ohr, auch Geschrei und sogar das Stöhnen kopulierender Paare. Unglaublich, wozu Menschen ihre letzten Atemzüge benutzten!
    Und plötzlich hörte Percival das Brüllen von Motoren. Es stank nach Diesel auf einmal. Scheinwerferpaare tauchten im Hauptgang vom Höhleneingang auf. Lastwagen rollten ein Stück in die Haupthöhle hinein und stoppten. Der Motorenlärm verstummte, die Scheinwerfer erloschen. Keiner kümmerte sich um die aussteigenden Männer. Sie waren schwarz und trugen Uniform.
    »Was jetzt, Percival?« Der über und über tätowierte Donald ging vor ihm in die Hocke. Er war ein hagerer, knochiger Bursche mit einer Habichtnase. »Was machen wir jetzt?«
    Hinter ihm stand Dagobert, ein fetter Kerl mit Halbglatze und grauen, zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren. Beide gehörten zum innersten Fankreis der Firegods; als es noch die Firegods gab, jedenfalls. Jetzt gab es nur noch eine vom Kometen verwüstete Welt und Menschen, die den Einschlag die erste Stunde lang überlebt, und Menschen, die ihm schon zum Opfer gefallen waren.
    »Wie, ›Was machen wir jetzt‹?«, fragte Percival müde. »Woher soll ich das wissen?«
    »Du bist doch so ein Klugscheißer!«, sagte Dagobert.
    »Wenn du für dein Drecksblatt schreiben musstest, ist dir doch auch immer was eingefallen!«, zischte Donald. Quer über seinen Kahlkopf waren in roter Farbe die Ziffern 666 zu lesen.
    »Warst du nicht früher mal Priester?« Dagobert setzte sich neben ihn und Leila. »Da hast du doch auch immer Bescheid gewusst, wenn du auf die Kanzel

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