VT06 - Erstarrte Zeit
immer und brachte ihn zurück ins Labor.
Möglicherweise hatten diese Dressurerfolge den Professor leichtsinnig gemacht, möglicherweise hatte er auch den Freiheitsdrang der Zuchtwürmer unterschätzt.
Das Verschwinden der drei Würmer kam ihm allerdings insofern gelegen, als dass es ihm einen Vorwand lieferte, seine Assistenten aus dem Labor zu schicken.
»Würmer weg!« Er zeigte auf das zwanzig Quadratmeter große leere Terrain, in das Knox und Peter van Dam die beiden Laborschlafkammern neben Marens Schlafkammer umgewandelt hatten. Eine lebendige Mumie, die entfernt an Maren Verbeek erinnerte, saß neben einem Schlaflager und trocknete Reagenzgläser ab.
»Suchen!« Van der Groot deutete zur Tür. Eusebia, Vera und Astrid sahen ihn müde an. »Den anderen Bescheid sagen. Im ganzen Bunker suchen. Suchen.«
»Is gut, Dokk«, krächzte Eusebia. Die Frauen setzten sich langsam in Bewegung und schlichen mit hängenden Schultern und Köpfen aus dem Labor. Der Professor schloss hinter ihnen ab.
Danach holte er eine Knochensäge und einen Rasierapparat aus dem Instrumentenschrank und ging in Marens Schlafkammer. Die lebende Leiche unterbrach ihre stupide Arbeit nicht einen Augenblick, während der Professor ihr das spärlich gewordene Haar abrasierte.
»Du hast mich einst in den Knast und an den Rand des Todes gebracht«, murmelte er. »Heute ist der Tag der Abrechnung.«
Die Frau hatte graue schlaffe Pergamenthaut. Ihr Schädel sah aus wie ein noch nicht vollständig skelettierter Totenschädel. Als van der Groot ihn kahl geschoren hatte, führte er das, was von Maren übrig geblieben war, zu ihrer Liege und schnallte sie fest. Danach setzte er die Knochensäge an…
Später aß er hinter der verschlossenen Labortür die Hälfte des dampfenden Gehirns. Es hatte keinerlei Wirkung. Ganz anders Veras Gehirn. Van der Groot aß davon, nachdem seine Assistenten zwei der Würmer zurückgebracht hatten. Der dritte war über den fast vollendeten Schacht ins alte Kupferbergwerk entkommen. Der Professor schickte seine Leute ins Bett und behielt nur Vera bei sich. Willig ließ sie sich auf die Untersuchungsliege in einem Nebenraum führen, fesseln und den Schädel rasieren.
Nach dem Essen fühlte van der Groot sich wie neu geboren…
***
23. Dezember 2092
Er schlich den Gang hinunter und spähte um die Ecke: Der Woorm lag vor Dokks Schlafkammertür. Dokk schlief.
Er kehrte zurück in seine eigene Kammer. Er nahm Eusebia, trug sie hinunter in die untere Ebene. Etwas nagte dumpf in seiner Brust.
Angst.
Eusebia hatte er in ein graues Leintuch gewickelt. Ein Ende des Bündels war blutgetränkt. Knox trat in die Müllverbrennungsanlage.
Er bestattete Eusebia. Danach stieg er wieder nach oben und ging in die Küche. Etwas nagte dumpf in seiner Brust.
Trauer?
Nein, Angst.
Vera verschwunden, Joshua verschwunden, Peter verschwunden.
Angst.
Zurück in der Küche, holte er den Topf aus dem Herd. Das Gehirn darin dampfte. Knox aß es nicht, er schlang es hinunter. Noch einmal sich stärken, noch ein einziges Mal Kraft schöpfen für den langen, langen Weg.
Er durchquerte die Gemeinschaftshalle, ging zum kleinen Aufzugschacht. Angst trieb ihn hinauf.
Vera verschwunden, Joshua verschwunden, Peter verschwunden. Wer war der nächste? »Eusebia nicht«, krächzte er. »Und ich auch nicht.«
Er hatte den Schacht selber ausgebaut und befestigt. Kein Problem für ihn, die Luken zu öffnen. Meter um Meter stieg er nach oben. Angst trieb ihn voran.
Peters Leiche hatte er gefunden. Der Schädel war leer gewesen. Noch einer außer ihm aß also Gehirne. Dokk.
Darum erschien ihm Dokk so munter in den letzten Wochen. Darum schlief Dokk so wenig, arbeitete so viel und sagte solche langen Sätze.
Dokk aß Hirne.
Keine Hirne von Zombies; die wirkten nicht. Knox hatte es ausprobiert. Hirne von Leuten wie Vera, Peter, Joshua und Astrid aß Dokk. Hirne von Leuten wie Knox.
Angst.
Endlich erreichte er die Erdoberfläche. Die Kuppel war halb zerbrochen. Die Lava hatte sie niedergewalzt. Eis bedeckte die Trümmer. Die Kälte traf ihn wie ein Machetenhieb.
Die Angst trieb ihn zum Ausgang der Ruine. Meterhoch lag der Schnee. Sein Hirn würde Dokk niemals essen. Eusebias auch nicht. Er trat ins Freie.
Dämmerlicht herrschte. Die Kälte traf ihn wie eine Häckselklingenscheibe. Die Umrisse eines Tiefladers ragten aus dem Eis. Die Ladefläche war leer.
Der Atem gefror Knox in Mund und Nase und Lungen. Nach acht Schritten vermochte er kaum
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