VT08 - Anti-Serum
für eine gewisse Zeit.
Und was willst du damit erreichen? Wie viele Menschen aus den umliegenden Dörfern willst du noch retten? Hundert?
Zweihundert? Wen willst du nicht retten? Wem willst du ins Gesicht sagen, dass für ihn oder sie leider kein Platz mehr in der Wolkenstadt ist?
Nooga hatte Recht. Sie suchte bloß einen Weg, aus dem verdammten Käfig herauszukommen.
Ein Ruf ertönte, und der Zug stoppte.
Marie lugte zwischen den Gitterstäben hervor. Mala, die den Zug anführte, war vor einer Weggabelung stehen geblieben.
»Nach links«, rief Nooga. »Der rechte Weg ist eine Sackgasse.«
»Wohin geht es auf dem rechten Weg?«, fragte Marie.
Er antwortete, ohne sie anzusehen. »Zum Bauernhof von Rubo Anan.«
»Wolltest du nicht die Bauernhöfe absuchen und den Menschen anbieten, euch zu begleiten?«
Er blickte sie finster an. »Du hast Recht. Ich werde den Hof aufsuchen. Der Zug kann inzwischen weiterziehen. Ich habe euch schnell wieder eingeholt.«
Er sprach nicht aus, was sie beide dachten. Was würde passieren, wenn Nooga den Zug verließ? Würden die anderen Männer sich dann noch an seine Anweisung halten und Marie verschonen?
Sie würde ihn jedenfalls nicht bitten, bei ihr zu bleiben.
Von Wut und Wehmut erfüllt blickte sie Nooga nach, wie er an die Spitze des Zuges lief, um sich mit Mala und den Männern zu besprechen. Mala schien mit Noogas Entscheidung, den Hof aufzusuchen, nicht einverstanden zu sein. Marie erwartete schon ein Wortgefecht, als die Stimmen plötzlich verstummten und die Köpfe in Richtung des Weges herumfuhren, der zu dem Hof von Rubo Anan führte.
Marie reckte den Hals, um über den Zug hinwegblicken zu können.
Dann sah sie es auch.
Fünf Kinder näherten sich, aus Richtung des Bauernhofes kommend, dem Menschenzug.
Nooga erkannte selbst aus der Entfernung, dass mit den Kindern etwas nicht stimmte. Ihre Kleider waren zerrissen, ihre Gesichter aschfahl und ausgezehrt, so als hätten sie Tage ohne Essen und Trinken zugebracht – oder als hätte ein unheimliches, verzehrendes Feuer in ihrem Innern alle Energie aufgesogen und verbraucht. Schwach und kraftlos stolperten sie über die Straße.
Doch kaum hatten sie die Menschen erblickt, kehrte das Leben in ihre scheinbar so geschwächten Körper zurück. Ihre Augen begannen vor Gier und Hunger zu glühen. Mit aufgesperrten Rachen taumelten sie auf die Dorfbewohner zu.
Schreie der Angst und Verzweiflung wurden laut, als die Menschen von Vilam erkannten, wen sie vor sich hatten.
Es waren die Kinder von Rubo Anan, aber sie hatten sich in blutgierige Gruh verwandelt, die nur noch äußerlich menschlich erschienen.
Nooga fuhr ein Schwert aus Eis durch den Körper, als er Bora erkannte, der die Kinder anführte. Er war der älteste Sohn Rubo Anans und gerade mal sechs Jahre alt. Nooga hatte ihn einmal auf dem Arm gehalten, als er noch ein Baby gewesen war.
Und jetzt kam Bora auf Nooga zu, die Hände klauenartig nach vorne gestreckt und mit einem heiseren Krächzen auf den Lippen. Aus seinem Hals ragte ein Holzsplitter und sein Hemd war von Blut getränkt.
Gruhblut.
Nooga reagierte, ohne nachzudenken.
Er ließ das Schwert durch die Luft sausen und trennte dem Monstrum mit einem Schlag den Kopf ab. Sofort fuhr er zurück, denn ein zweites der Kinder wollte sich auf ihn stürzen – eine Schwester Boras, deren Kraushaar von Blut verkrustet an ihrer Stirn klebte. Nooga kannte ihren Namen nicht, aber er tötete auch sie.
Endlich reagierten auch die anderen Wachen. Ein Gruh-Kind hatte sich auf Mala gestürzt und sich in ihren Haaren verkrallt. Einer der Männer packte es von hinten und zerrte es von Mala herunter. Die Bestie röchelte und knurrte.
Der Mann warf sie hoch durch die Luft. Nooga hörte die kleinen Knochen brechen, und als der Gruh sich wieder aufrichtete, stand sein Oberkörper in schrägem Winkel vom Becken ab. Vor Gier schnaufend und keuchend kroch er abermals auf Mala zu.
Nooga trat hinter das Kind und wollte ihm das Schwert in die Brust stoßen, als etwas Schweres gegen seinen Schwertarm stieß und ihm die Waffe aus den Händen prellte. Nooga sah nur ein Büschel Haare und vernahm ein helles Fauchen. Er versuchte das Bündel abzuschütteln, aber da kam ein zweiter Angreifer von der anderen Seite. Nooga ging unter dem Gewicht zu Boden.
Er sah nur noch den aufgerissenen Rachen des Gruh-Mädchens vor sich, der auf seinen Hals herabzuckte…
Da erhielt die Kreatur im letzten Augenblick einen Schlag gegen den
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