VT08 - Anti-Serum
Haar der Mageninhalt in den Mundraum geschossen wäre. Mit bleicher Miene klammerte sich der Kanzler an das Bordgestell, dessen Gurte und Träger durch den plötzlichen Kurswechsel bis zum Zerreißen strapaziert wurden.
Mit aufgerissenen Augen starrte Goodefroot auf das Gewucher aus Bäumen, Sträuchern und Steppengras, das auf einmal rasend schnell näher kam.
Im letzten Augenblick bremste der Lenker den Witveer ab und steuerte ihn in sanftem Schwingenschlag über die Baumkronen hinweg.
»Ist er… wahnsinnig geworden?«, presste Goodefroot hervor. »Will er uns alle in den Tod stürzen, he?«
Der Lenker antwortete, ohne sich umzudrehen. »Wir haben die Spur des Woorms wieder gefunden, Kanzler.«
»Wo ist sie?«
Der Lenker deutete auf die Lichtung, über die sie gerade hinweg flogen. Eine kaum wahrnehmbare Schneise zog sich durch das Dickicht, bis hin zu einer weiteren, größeren Lichtung, die gerade in Sichtweite kam. Goodefroot erblickte die Dächer von Hütten und einen Dorfplatz, in dessen Mitte die heiße Asche eines Feuers rauchte.
Der Lenker setzte den Witveer auf dem Dorfplatz auf.
»Das Dorf ist verlassen«, sprach der Lenker aus, was auch Goodefroot dachte.
Die Türen der Hütten standen offen. Der Exodus der Dorfbewohner konnte noch nicht lange her sein, denn im Sand waren frische Fußspuren zu erkennen, die noch nicht vom Wind abgetragen worden waren, und aus der noch nicht völlig erloschenen Asche des Feuers zogen dünne Rauchfäden gen Himmel.
Goodefroot rief sich den Umgebungsplan vor Augen, auf dem er zusammen mit de Fouché die Verteidigungsstrategie ausgearbeitet hatte. Dies musste das Dorf Vilam sein, in dem nach Aussagen de Fouchés ungefähr dreißig Zivilisten lebten.
Männer, Frauen, Kinder…
Goodefroot blickte sich um und erkannte zwischen zwei Hütten, am Rande des Dorfplatzes, ein frisches Grab. »Sie sind vor den Gruh geflohen«, murmelte er, und ihm lief ein eisiger Schauer über den Rücken. »In welche Richtung sind sie gegangen?«
»Die Spur führt über die Straße nach Westen«, erwiderte der Witveerlenker Adrien. »Aus der Höhe waren Schleifspuren zu erkennen, als ob sie etwas Großes, Unförmiges mit sich geschleppt hätten.«
»Einen Maelwoorm?«
»Nein, größer. Ich denke eher an einen Woormkäfig – aber warum sollten sie das tun?«
»Da werden wir sie wohl selbst fragen müssen.«
Goodefroot gab das Zeichen, zum Witveer zurückzukehren.
Auch wenn er liebend gern einen Grund gehabt hätte, sich nie wieder auf den Rücken dieses vermaledeiten Vogels zu begeben – die Prinzessin zählte auf ihn.
Und er hatte schon viel zu viel Zeit verloren.
***
Nooga taumelte.
Mala stieß einen Entsetzensschrei aus, und wie auf Kommando wichen die anderen von Nooga zurück, als wäre er plötzlich zum Überträger einer tödlichen Krankheit geworden.
Und genau genommen stimmte das sogar.
Nur Marie sprang ihm geistesgegenwärtig zur Seite und stützte ihn, bevor er stürzen konnte.
»Danke…«, keuchte er. »Es… geht schon.«
»Du brauchst Ruhe.«
»Ich bin nur gestolpert.«
»Du bist gestolpert, weil du Ruhe brauchst«, beharrte Marie.
Er blickte sie finster an. »Ich weiß, dass du und die anderen mich abgeschrieben haben. Ich mache euch keinen Vorwurf deswegen. Ich habe ja selbst bei dir nicht anders gehandelt. Nur dass du… aus anderem Holz geschnitzt bist, Marie. Dir kann die Gruhseuche nichts anhaben…«
»Sprich nicht so.«
»Ich weiß, dass es so ist! Ich verstehe es nicht…, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Du musst diese Menschen weiterführen, wenn ich… wenn ich…«
»Ich werde tun, was ich tun muss, wenn es so weit ist. Aber erst dann, Nooga – und keine Sekunde früher!«
Er nickte und atmete tief ein. Sein Gesicht wirkte eingefallen – und hatte er nicht auch in den vergangenen Minuten an Farbe verloren? Eine Faust ballte sich in Maries Magen. Sie wollte nicht wahrhaben, was offensichtlich war.
Nooga verändert sich. Die Gruh-Kinder von Rubo Anans Hof hatten ihn infiziert, und aus irgendeinem Grund wirkte das Gift bei ihm wesentlich schneller als bei ihr, die sie seit ihrem Schwindelanfall in Vilam keine Anzeichen einer Infektion mehr gezeigt hatte.
»Bitte, Marie, du musst tun, was zu tun ist…«
»Noch nicht, Nooga. Diese Menschen brauchen dich. Deine Schwester braucht dich.« Marie warf Mala einen Blick zu, und Mala senkte den Kopf. Vermutlich schämte sie sich, weil sie ebenfalls vor Nooga zurückgewichen war.
»Du
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