VT10 - Tod im Blut
Mutter.
Okoje fuhr zurück, als Gleles dicker Hintern plötzlich von ihm wegschwenkte und der gekrümmte Rücken hochkam.
Glele war eine Respekt heischende Frau, und das nicht nur, weil sie mit dem Ersten Jäger verheiratet war. Sie hatte kräftige Oberarme, Brüste wie Honigmelonen und eine stattliche Anzahl Speckringe an den Hüften.
»Bayete!«, grüßte Okoje mit artiger Verbeugung, die Hände zu einem »L« aneinander gelegt.
»Hmpf«, machte Glele nur. Okoje war eine schlechte Partie, auch wenn sein Vater acht Rinder besaß und es außer Frage stand, dass der Junge bis über beide Ohren in Nikali verliebt war. Für ihre Älteste kam nur ein Sohn des Häuptlings in Frage! So hatte Glele entschieden, und so würde es auch geschehen.
»Nikali ist nicht da. Geh deiner Wege, Okoje!«, sagte sie schroff und wies mit einem Unkrautbüschel Richtung Dorfplatz. Dort waren die Vorbereitungen zum umutsha-Fest im Gange, das gleich nach den Durchzug der Frakken stattfinden sollte. Knaben, die die Pubertät erreicht hatten, erhielten dabei aus der Hand des Häuptlings ihren ersten Lendenschurz. Die Kinder der Banzulu waren traditionell nackt, und dieses Fest wurde von jungen Teenagern heiß herbeigesehnt. Schließlich trennte sie der umutsha für alle sichtbar von den Kleinen und der Kindheit.
Diesmal würde auch Gleles Sohn teilnehmen. Das war vermutlich auch der Grund dafür, weshalb Nikali beim ersten Morgengrauen in die Wälder gegangen war. Glele ahnte, dass sie Bullenhorn für ihn suchen wollte; ein seltenes Kraut, dem man magische Kräfte nachsagte. Ihr Bruder konnte es brauchen, denn sein Geschlechtsteil war etwas klein geraten, und er sollte doch später starke Söhne zeugen.
Nikalis Verehrer trollte sich widerstrebend. Glele behielt ihn im Auge, bis er den Garten und die daran anschließende Hütte passiert hatte. Sie wollte verhindern, dass er den jüngeren Mädchen eine Nachricht für Nikali zuflüsterte.
Okoje war gerade verschwunden, und Glele wandte sich schon wieder den Beeten zu, da registrierte sie aus den Augenwinkeln eine Veränderung auf dem Dorfplatz. Sie richtete sich stirnrunzelnd wieder auf. Die Leute hatten ihre Arbeit unterbrochen und liefen die Straße zum Tor hinunter. Es war aus Baumstämmen gefertigt, mit dem Doppelkopf eines Lioon auf dem Querbalken, und wurde abends verschlossen.
Man musste vorsichtig sein, denn in den Wäldern am Hang waren gefährliche Raubtiere unterwegs.
»Ist das Nikali, Mame?«, fragte Gleles jüngste Tochter und zeigte auf die dunkle Gestalt, die eben durch das Tor trat und sofort umringt wurde.
Glele schüttelte den Kopf. »Nein, das ist einer von den Boten, die Ngomane nach Kilmalie geschickt hat. Ich werde hören, was es Neues gibt. Ihr bleibt hier und arbeitet weiter!«
Glele ignorierte den Protest der Mädchen, verließ den Garten und marschierte los.
Das Volk der Banzulu lebte in selbst gewählter Abgeschiedenheit und beschränkte den Kontakt zu Leuten aus der Umgebung auf sporadischen Tauschhandel: Fleisch gegen Getreide, Felle gegen Töpferwaren, Holz gegen Stroh.
Kilmalie und die Schwesterdörfer Ribe und Muhnzipal wurden von Bauern bewohnt, die die riesigen Kornfelder des Kaisers bestellten, damit der iFulentshi (Zulu: der Franzose), wie die Banzulu Jean-François Pilatre de Rozier wenig respektvoll nannten, oben in den Wolkenstädten immer gut zu essen hatte. Er und sein Gefolge.
Glele spuckte auf den Boden. Ihr Stamm war aus einem anderen Holz geschnitzt als die Bauern von Kilmalie!
Einmal war ein Steuereintreiber nach kwaBulawayo gekommen. So hieß Gleles Dorf, und der Name bedeutete Stätte des Tötens. Deutlicher konnte man kaum darauf hinweisen, dass die Banzulu keine Bauern waren. Dennoch hatte der Bedienstete mit der seltsamen Aussprache und dem bunten Stoff am Körper Forderungen gestellt. Die Banzulu wären Untertanen des Kaisers, hatte er behauptet, und sie müssten Steuern zahlen. Wenn sie schon keine Feldarbeit leisteten, dann sollten sie wenigstens Wild abliefern.
Widerstand sei zwecklos. Der Kaiser würde in diesem Fall seine Truppen schicken und die Banzulu bestrafen.
Glele lächelte. Damals hatten alle geglaubt, Ngomane würde dem blutjungen Kaiserboten die rosafarbenen Haare herunterreißen und in den Schlund stopfen, auf dass er daran erstickte. So wütend war der Banzulu-Häuptling gewesen!
Ngomane besann sich dann aber und entließ den Jüngling mit der Zusage, dem iFulentshi zu geben, was dem iFulentshi zustand.
Noch
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