VT10 - Tod im Blut
tobend in einem Käfig an der Oberfläche nahe der Großen Grube gefunden worden. Dr. Aksela hielt das für sehr merkwürdig. Wer hatte Nabuu eingefangen und eingesperrt? Warum hatte dieser Jemand ihn nicht gleich getötet? Sie schloss kurz die Augen, riss sich dann aber zusammen. Sie durfte sich nicht mit Fragen aufhalten, die niemand beantworten konnte. Es gab zu viel zu tun.
Noch war Nabuu nicht völlig dem Gruh-Gift verfallen, noch konnte er gerettet werden. Aber es musste schnell gehen, sollte das Anti-Serum noch ein wenig Wirkung entfalten. Dr. Aksela ging zu ihrem Medizinschrank und zog eine Spritze mit dem Mittel auf – und verfluchte dabei de Fouché, der mit seiner eigenmächtigen Aktion die Forschung an einem besseren Serum verzögert hatte. Dieses hier würde die Vergiftung nur aufhalten, aber nicht vollends aus seinem Körper verbannen können. Bis sie aus Maries Blut ein wirksameres Anti-Serum entwickelt hatte, würden noch Tage, vielleicht sogar Wochen vergehen. Zeit, die Nabuu nicht hatte. Die sie alle nicht hatten…
Sie warf einen Blick auf den immer noch tobenden Nabuu, dessen Haut in den letzten Stunden immer grauer geworden war. Die Wachsoldaten hatten ihn an einen Türpfosten gefesselt, denn er war kaum zu bändigen. Sie fragte sich kurz, ob es eine gute Idee war, sich dem Tobenden und wie von Sinnen brüllenden Gruh zu nähern. Aber dann fasste sie sich ein Herz. Es musste sein. Auch Marie hatte sich, ohne auf ihre eigene Gesundheit zu achten, in die Schlacht gestürzt. Sie trat vor den knurrenden Gruh und winkte einen der furchtsam in der Ecke stehenden Pfleger zu sich. »Bleibt in gebührendem Abstand, aber lenkt ihn ab, damit ich ihm das Gegengift injizieren kann!«
Der Mann – er hieß François – gehorchte. Dr. Aksela hatte schon festgestellt, dass er den Pfleger-Beruf aus Leidenschaft ergriffen hatte. François begann auch wirklich, in respektvoller Entfernung zu dem Kilmalier den Clown zu spielen. War Nabuu bisher wütend gewesen, wurde er jetzt rasend. Die anderen Helfer drückten sich noch weiter in der Ecke des Labors zusammen, doch François gab nicht auf, sodass Aksela es tatsächlich schaffte, Nabuu die Injektionsnadel tief genug in den Oberschenkel zu jagen und den Kolben herunter zu drücken. Der Beinahe-Gruh heulte auf.
Die Ärztin sprang sofort aus seiner Reichweite und wandte sich wieder an François, der sich den Angstschweiß von der Stirn wischte. »Danke, das habt ihr gut gemacht. Ich werde mich jetzt mit der Prinzessin befassen. Setzt derweil die Herstellung des Anti-Serums weiter fort.«
François nickte. »Ich werde auch darauf achten, ob dieser Kerl da stiller wird. Ich rufe euch, sollte sich etwas ändern.«
»Danke. Wir werden ihm in einer Stunde noch einmal eine volle Dosis verabreichen. Das wird ihn stabilisieren. Danach braucht er eine ständige Infusion mit dem Anti-Serum.«
Aksela ging nach nebenan. Man hatte Marie in das Krankenzimmer gebracht und auf ein weiß bezogenes Bett gelegt.
Im ersten Moment erschrak die Ärztin. Maries hellbraune Haut hatte einen Ton angenommen, der dem der Gruh ähnlich war, und ihren Atem konnte man kaum noch hören. Kurz entschlossen griff Aksela in ein Regal neben der Tür und zog einige Verbände und einen Tiegel mit Heilsalbe aus einem Fach.
Als sie das Laken, mit dem Marie bedeckt war, zurückschlug, schrak sie erneut zusammen. Man hatte der Prinzessin die Oberkleider ausgezogen, und erst jetzt begann Aksela zu begreifen, was Marie hatte erleiden müssen. Sie machte sich daran, die unzähligen Schrammen, Wunden und Bisse zu behandeln. Dazu kam ein Armbruch, den Marie sich wohl beim Sturz in den Brunnen zugezogen hatte.
Unter diesen Umständen mochte es eine ganze Weile dauern, bis sie Marie wieder Blut abnehmen konnte. Wieder erfasste sie Wut auf de Fouché und auf Maries Halbschwester Antoinette, die in ihren Augen schuld daran waren, dass die Entwicklung eines besseren Heilmittels jetzt viel länger dauern würde.
Der schmale Körper der jungen Prinzessin war eine einzige Wunde, und erstmals überfiel Aksela die Angst, dass Marie diese Verletzungen vielleicht nicht überleben würde…
Was, fragte eine Stimme weit hinten in ihren Gedanken, wenn sie ohnehin dem Tod geweiht ist? Wäre es dann nicht geradezu ein Verbrechen, mit der Forschung nach dem Gegenmittel zu warten?
Was, fragte die Stimme, lauter werdend, wenn Maries Tod das Leben so vieler anderer Menschen retten könnte? Nur einige Liter ihres Blutes;
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