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VT11 - Flammender Himmel

VT11 - Flammender Himmel

Titel: VT11 - Flammender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern und Stephanie Seidel
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mächtigsten aller Todesflüche, die man in Afra kannte. Er stammte noch aus vergangenen Zeiten, und seine Wirkung war dokumentiert.
    Wenn ein Mann gute Gründe hatte, seinem Nachbarn den Tod zu wünschen, bat er einen Schamanen, einen Voodoopriester oder die Dorfhexe, um den Lioonzauber. Beim Einritzen des Bildes wurde der Stein mit den Gründen besprochen, deretwegen sein Empfänger den Tod verdiente. Dann legte man ihn dem Unglücklichen vor die Tür. Die Botschaft lautete »Ein Lioon wird kommen und dich fressen!«. Doch der Lioon brauchte sich selten selbst bemühen. Adressaten dieses Zaubers starben in vielen Fällen an einem Herzinfarkt. Aus purer Angst.
    »Es ist gut, dass du bei uns bist, Mame!« Der Banzulu-Fürst legte eine Hand auf ihren Arm. »So weiß ich, dass wir siegreich sein werden.«
    »Sei unbesorgt, Ngomane. Der iFulentshi wird seiner Strafe nicht entgehen«, sagte die Geisterfrau.
    Als es dunkel wurde, machte sich Tenga auf den Weg zur Versorgungsstation. Bis der Mond aufging, war er zurück und legte sich zu seinen Gefährten ans glimmende Lagerfeuer. Zwei Stunden später wälzte sich Tenga unruhig von einer Seite auf die andere. In seinen Alpträumen gehörte das leise, ferne Brummen zu einem doppelköpfigen Lioon, der nach Kilmalie kam, um ihn zu fressen…
    ***
    In der Wunde der Erde
    Es war still zwischen den steinernen, hoch aufragenden Wänden. Von oben fiel das erste Licht des Tages herab.
    Die Gruh hatten sich am Grund der Großen Grube versammelt, erstmals wieder seit dem unbegreiflichen Sterben, dass die Insekten über viele von ihnen gebracht hatten. Sie begriffen nicht wirklich, was geschehen war, doch nachdem die ersten von ihnen ohne Schaden geblieben waren hinter dem Ausgang der Höhle, waren andere nachgerückt.
    Nun stiegen sie hinauf ans Licht, getrieben von dem einzigen Gefühl, das ihnen geblieben war und das unerbittlich in ihren kalten Eingeweiden wühlte: Hunger!
    Oben, in der Savanne neben dem Erdriss, fanden sie sich zusammen. Ihre Füße scharrten im Dreck, ihre Hände öffneten und schlossen sich. Ein paar hockten am Boden, gruben ziellos in der Erde. Sie aßen die Würmer und Ameisen, die sie fanden, manchmal auch Wurzeln und Steine, doch nichts davon stillte ihren Hunger. Nichts half gegen die Leere und die Kälte in ihren Körpern.
    Einer von ihnen, ein lebender Kadaver, der einst eine Frau gewesen war, stieß ein tiefes Stöhnen aus. Andere nahmen es auf. Die Blicke ihrer toten Augen glitten über die Ebene, suchten nach etwas, das die Gruh längst nicht mehr benennen konnten, etwas, das sie selbst vor langer Zeit einmal gewesen waren. Die Sehnsucht in ihren Köpfen war allumfassend, beherrschte jede Bewegung und jeden winzigen, flüchtigen Gedanken.
    Es war die Sehnsucht des Todes nach dem Leben.
    Die Frau war es, die den Schatten als Erste sah. Er glitt über sie hinweg und tauchte die Savanne für Minuten in graues Licht.
    Sie hob den Kopf und betrachtete ohne jedes Verständnis die schwebende Stadt im Himmel. Ihr Geist war längst in sich zusammengefallen und nicht mehr in der Lage, das zu verarbeiten, was ihre Augen sahen. Nur eines spürte sie so deutlich wie den Hunger: über ihr schwebte Leben.
    Sie streckte die Arme aus, um danach zu greifen, aber sie konnte es nicht erreichen. Sie machte einen Schritt nach vorn, dann einen zweiten. Das Leben drohte ihr zu entkommen.
    Sie ging schneller, folgte dem Schatten, der über den Boden glitt. Die Gruh um sie herum spürten die Veränderung. Sie hoben die Köpfe. Ein Stöhnen ging durch die Menge. Staub wirbelte auf, als Füße über den trockenen Boden zu schlurfen begannen. Wie ein einziges gewaltiges Wesen setzten sich die Gruh in Bewegung.
    Dem Schatten folgend. Dem Leben entgegen.
    ***
    Ankunft bei Orleans-à-l’Hauteur
    »Da ist sie!« Henri zeigte schräg nach oben. Es war früh am Morgen, und mit dem ersten Licht näherte sich eine tief fliegende Roziere der Wolkenstadt Orleans-à-l’Hauteur und der darunter gelegenen Versorgungsstation. Brest, die Soldatenstadt des Kaisers, war noch auf dem Weg hierher und würde erst in zwei Stunden eintreffen.
    Es war das übliche Prozedere, dass die Bodenmannschaft voraus flog, um die Station zu sichern und die Koppelung der Gasleitung und der Ankertaue vorzubereiten. Diesmal waren lediglich Henri Talleyrand und Yves Touree mit der Aufgabe betraut worden, denn sie würden an der Station mit Kollegen aus Orleans zusammentreffen. Deren Stadt musste erst noch

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