VT12 - Die Rückkehr
ihren Tragebeutel neben sich ab. Sie schien ein Gespür dafür zu haben, wo sich noch Überlebende befanden, denn ihr Kniefall war nie vergebens. Jedes Mal holte sie mit ihren altersdürren Händen einen Mann aus den Trümmern. Hatte sie Kopf und Schultern des Ärmsten befreit, griff sie in den Tragebeutel, zog ein Messer und schnitt ihm die Kehle durch.
Sie war alles andere als ein kleines Mütterchen.
Ihr Name war Issa Maganga, und sie war die gefürchtete Schamanin der Banzulu. Ihr Großneffe, Fürst Ngomane, hatte mit seinem Brandspeer die Soldatenstadt vom Himmel geholt. Issa Maganga war hier, um Nachlese zu halten.
»Verflucht sei der iFulentshi ( Zulu: der Franzose )!«, flüsterte sie wieder und wieder, während sie ihr stilles Töten fortsetzte. »Und verflucht sollt ihr alle sein, die ihr ihm gedient habt!«
Der Hass der Geisterfrau auf den Kaiser kam nicht von ungefähr. Vor drei Tagen war ein mit Gruhgift infizierter Krähenschwarm in kwaBulawayo eingefallen und hatte das ganze Dorf ausgelöscht. Bis auf Ngomane und zwei Krieger, die sich zurzeit des Überfalls noch in den Wäldern aufhielten, waren alle Banzulu tot.
Issa Maganga machte den hellhäutigen Ausländer dafür verantwortlich, der mit seinen fliegenden Städten die Götter erzürnte. Ohne ihn wäre das Land am Fuß des Kilmaaro noch immer Savanne und kein riesiges Weizenfeld. Ohne die Felder hätten Millionen Frakken einen anderen Weg genommen, und ohne sie wäre das Krähenvolk in den Bergen geblieben. Der Kaiser war an allem schuld.
Der verfluchte iFulentshi.
Wieder fand Issa Maganga einen Überlebenden. Er saß in einem Hohlraum unter den Trümmern. Balken waren auf seine Beine gestürzt. Der Mann hielt einen Käfig umklammert, wirkte desorientiert, sprach mit schwacher Stimme.
»Du musst Mbubu retten«, wisperte er, als die Geisterfrau zu ihm hinab stieg, und zeigte auf das Fellknäuel hinter Gittern. Es war ein Zwergmaaki; eine Handvoll Leben mit riesigen Augen. Misstrauisch beobachtete das kleine Wesen, wie Issa Maganga ihren Tragebeutel ablegte.
»Das Tier ist voller Blut«, sagte sie.
»Es ist nicht seins«, ächzte der Mann und deutete auf einen kopflosen Torso, der neben ihm lag. Ein Gruh. »Zwar sind meine Beine gebrochen, aber ich bin nicht wehrlos. Als die Kreatur hier herein kroch und mich beißen wollte, habe ich ihr den Kopf abgeschlagen.«
Issa Maganga wurde hellhörig. »Es ist das Blut eines Gruh?«, fragte sie.
Der Mann nickte mühsam. »Bitte säubere ihn davon. Es soll ansteckend sein.«
»Ansteckend?« Ungesehen schlossen sich die Finger der Geisterfrau um ihr Messer.
»Wen immer die Gruh beißen oder verletzen, wird wie sie! Sogar Tiere sind davor nicht gefeit! Ich habe gesehen, wie ein Witveer, der einem Gruh den Kopf abgebissen haben soll, selbst zu einer Kreatur wurde. Er hat furchtbar gewütet auf der Wolkenstadt. Mon dieu, so was möchte ich nie wieder sehen!«
»Wirst du nicht«, versprach Issa Maganga und stieß ihm die Klinge in den Hals.
Der Mann röchelte noch, da hatte sie bereits den Käfig gepackt und machte sich daran, ins Freie zu kriechen. Mbubu zwitscherte erregt, bleckte die Zähne, schob seine Pfoten durchs Gitter. Er versuchte nach der Geisterfrau zu schlagen. Sie hielt ihm ihr freies Handgelenk hin und befahl: »Lass es!«
Mbubu erstarrte zum schweigenden Plüschbällchen, was allerdings weniger mit Schamanenzauber zu tun hatte als vielmehr mit Issa Magangas Armband. Es bestand aus getrockneten Vogelspinnen. Sie waren nur unwesentlich kleiner als der Maaki.
Die Geisterfrau betrachtete ihn gedankenvoll.
»Das Geheimnis liegt im Blut!«, flüsterte sie. »Es hat damit angefangen, dass die Gruh von den Frakken gebissen wurden. Die wurden von den Krähen gefressen, und die wurden zu Gruh. Das ist wie ein Kreislauf des Bösen.« Sie lächelte Mbubu zu. »Und du, mein Kleiner, steckst darin fest! Mal sehen, ob du dich nützlich machen kannst.«
Issa Maganga spähte über die Trümmer ins Freie. Ahnungslose Helfer waren überall unterwegs, aber sie hatte es auf einen Bestimmten abgesehen. Er sah wichtig aus, trug eine glänzende Brustplatte über seiner Uniform. Er sprach mit einigen Gardisten, gab ihnen wohl Befehle. Die Geisterfrau wartete, bis er endlich herüber sah. Dann rief sie um Hilfe.
***
»Ach Gott!« Der Uniformierte richtete sich auf und rief: »Es ist ein altes Weib mit seinem Haustier! Bringt eine Trage her!«
Ich geh dir gleich altes Weib!, dachte die Geisterfrau
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