Vulkanpark
böse
Mann. Bestrafen. Wegmachen.« Ihre Lippen zitterten. »Lara so unschuldig. Und
jetzt … «
»Wir
werden alles tun, was in unserer Macht steht«, sagte Franca voll Mitgefühl.
Über das weitere Procedere würde sie sich umgehend mit der Kinderpsychologin
Dr. Evelyn Schiller in Verbindung setzen. Sie ahnte, dass das, was Lydia
Weisglas mit ›unschuldig‹ meinte, eine weit größere Bedeutung hatte als das
eigentliche Wort ausdrücken konnte.
»Du kannst richtig toll
zeichnen. Alle Achtung«, sagte Franca, als sie auf dem Weg zurück zum Präsidium
waren.
»Ich
war ganz gut in Kunst«, antwortete Clarissa.
»Dann
bist du ausgerechnet Polizistin geworden?«
»Schadet
doch nicht, wie man sieht. Ich bin nun mal gegen Fachidiotie. Man kann
schließlich beides kombinieren.«
Franca
zuckelte hinter einem Fuhrwerk her, das fast die gesamte Breite der Straße
einnahm.
»Ich
hab eine kleine Schwester, ein Nachzügler«, begann Clarissa zu erzählen. »Meine
Mutter glaubte, es sei vorbei mit ihrer Gebärfähigkeit – und zack, war sie
schwanger.« Sie drehte den Kopf und lächelte Franca an. »Die Kleine ist schon
sehr süß. Echt schade, wenn wir die nicht hätten.« Ihre Miene verdunkelte sich.
»Und wenn ich mir vorstelle, jemand tut ihr was. Den würde ich glatt
umbringen.«
Franca
nickte. »Jeder, dem Kinder nahestehen, denkt so. Aber weißt du, was ich mich
die ganze Zeit frage: ob der Mann wirklich so aussieht, wie Lara behauptet. Ihr
Verhalten schien mir sehr sprunghaft, und ihre Angaben waren nicht eindeutig.«
Franca wiegte den Kopf. »Hoffentlich müssen wir nicht alle ihre Aussagen
infrage stellen. Sie scheint mir in vielem ziemlich widersprüchlich.«
»Ist
das nicht immer so bei traumatisierten Kindern? Deshalb muss man ja auch ganz
vorsichtig mit ihnen umgehen. Ich finde, das hast du ganz toll gemacht.«
»Danke.«
Franca sah überrascht zu ihrer jungen Kollegin hinüber.
»In
bestimmten Details schien sie mir jedenfalls ziemlich überzeugend.«
»Woher
weißt du denn so viel über traumatisierte Kinder?«, fragte Franca nach einer
Weile.
»Nicht,
weil ich selbst eins bin.« Clarissa lachte und fuhr sich durchs hennarote Haar.
»Falls du das vermutest. Nicht nur eigene Wunden machen empfindsam. Manchmal
genügt die Vorstellungskraft. Ich hab viele Vorträge gehört und einschlägige
Bücher gelesen. Über Täter und Opfer. Von Fachleuten, die es wissen müssen.«
»Und
wer sind diese Fachleute?« Franca war immer wieder aufs Neue erstaunt über
Clarissas Eifer.
»Profiler.
Amerikanische und deutsche. Stephan Harbort und Thomas Müller und einige
andere. Die waren auch bei uns an der Polizeihochschule. Das war
hochinteressant, was die so erzählt haben.«
»Kann
ich mir vorstellen.«
Das
Profiling oder die operative Fallanalyse, wie dies weniger spektakulär auf
Deutsch hieß, war eine relativ neue Ermittlungsmethode, die in Amerika
entwickelt worden war und die es in Francas Anfangszeit bei der Polizei noch
nicht als eigenständigen Begriff gegeben hatte. Viele traditionelle
Arbeitsweisen waren mit der fallanalytischen Herangehensweise verwandt. Sie
hatte sich ebenfalls auf diesem Gebiet weitergebildet, weil sie es für wichtig
hielt, sich mit neuen Methoden vertraut zu machen. Das Profiling war in ihren
Augen aber keine Wunderwaffe, mit der man jeden Täter zur Strecke bringen
konnte. Um einen Fall zu klären, brauchte es Sachbeweise, die vor Gericht
Gültigkeit hatten. Erkenntnisse, die durch Profiling gewonnen wurden, konnten
hilfreich sein, aber sie gehörten eben nicht zu den Sachbeweisen.
»Die
Theorie besagt, dass 90 Prozent der Sexualdelikte Beziehungstaten sind, dass also
der Täter vornehmlich im persönlichen Umfeld zu finden ist«, bemerkte Clarissa.
»Das
ist mir bekannt. Und was willst du damit sagen?«
»Ich
wollte es nur zu bedenken geben. Zumal uns die Kleine darauf hingewiesen hat,
dass der Täter eine Ähnlichkeit mit ihrem Vater hat.«
»Weil
er einen Schnurrbart hat und eine Brille trägt?« Franca sah Clarissa lauernd
an. »Oder weil er Deutschrusse ist?«
»Quatsch.
Ich habe keine Vorurteile gegen Deutschrussen.«
»Dann
wärst du die große Ausnahme.« Franca lachte. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass
Clarissa grinste. »Aber wir müssen uns natürlich vor Vorurteilen hüten. Ich
fand, dieser Vater ist besonders herzlich mit seinem Kind umgegangen, und es
wirkte absolut echt.«
Clarissa
hob die Schultern. »Lara hat ältere Brüder, die wir noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher