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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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ungeheurer Schmerz durchdrang ihn
jedes Mal, wenn er an den Abschied dachte. Dann tauchte das versteinerte
Gesicht seines Vaters vor ihm auf, der nicht auf das Heulen des Jungen
reagierte. Ein Vater, der ihn an der Heimtür abgab wie ein Paket.
    Im Heim
war er einer von vielen gewesen. Ein Junge, den die Erwachsenen kaum
beachteten. Unter seinesgleichen hatte er sich einen Platz erkämpfen müssen.
Das war alles andere als leicht gewesen. Wie oft hatte er nachts wach gelegen,
weil er auch hier zu spüren bekam, dass er anders war, dass er nicht
dazugehörte. Zu dem überwältigenden Gefühl der Fremdheit kam ein nagender
Schmerz. Er wusste nicht, wohin mit diesem schlimmen Druck, der sich immer mehr
verstärkte und ihm Nacht für Nacht schlechte Träume bereitete. Der ihn
verzweifelt nach Auswegen suchen ließ.
    Zuerst
hatte er sich nur vorgestellt, wie er sich rächen könnte. Irgendwann hatte er
seine Rachefantasien in die Tat umgesetzt und begonnen, Kinder, die jünger
waren als er, zu verletzen. Wenn er von den Erziehern darauf angesprochen
wurde, leugnete er heftig.
    Im
Grunde seines Herzens war ihm klar, dass solch ein Verhalten nicht richtig war,
aber er wusste sich nicht anders zu wehren. Wenigstens für ein paar Augenblicke
konnte er sich dann stark fühlen und überlegen.
    Lange
wollte er sich nicht eingestehen, dass ihn das Dunkle, das ihn wie ein Zwang
beherrschte, in besonderer Weise reizte und zugleich ängstigte. Diese inneren
Kämpfe machten ihm sehr zu schaffen. Das war etwas, das er niemandem mitteilen
konnte. Das er in sich verschloss, obwohl es ihn schier zerriss. Mit jemandem
darüber reden, so weit würde er niemals gehen. Er ließ keinen in seine Seele
schauen.
    Immer
dann, wenn in sein Leben scheinbar Ordnung eingekehrt war, hoffte er auf eine
grundlegende Veränderung. Aber diese Phasen dauerten nie lange an. Dann begann
wieder das Hämmern gegen seine Schläfen, das ihn quälte und drohte, seinen Kopf
zu zersprengen.
    Nun
musste er sich eingestehen, dass auch die Sache mit dem Mädchen keine Ruhe
gebracht, dass nicht eingetreten war, was er sich erhofft hatte. Die Sehnsucht
war nicht gestillt. Die Fantasien waren noch da. In gleichem Maße wie zuvor,
wenn nicht sogar stärker.
    Neben
dem Gefühl, ein Versager zu sein, machte sich eine totale innere Erschöpfung in
ihm breit. Das Mädchen hatte so süß ausgesehen mit seinen großen
schreckgeweiteten Augen. Er hatte bereits das Jagdmesser aus der Scheide
gezogen und an ihren Hals gehalten. Aber irgendetwas hatte ihn zurückgehalten.
Er war vollkommen verwirrt.
    Manchmal
erschrak er vor sich selbst, über die Gedanken und Wünsche, die er hegte. Im
nächsten Moment versuchte er zu verdrängen, was ihn zuvor so erregt hatte.
Diese Unvereinbarkeiten laugten ihn total aus und erschöpften ihn.
    Als er
das Phantombild in der Zeitung sah, musste er unwillkürlich auflachen.
Wenigstens in diesem Punkt war seine Strategie aufgegangen. Von der Kleinen
hatte er nichts zu befürchten. Kinder in dem Alter hielten sich an gegebene
Versprechen. Anders als Erwachsene. Andererseits, was wollte sie denn verraten?
Er hatte ihr ja nicht richtig wehgetan. Vielleicht hatte ihr das sogar
gefallen, was er mit ihr gemacht hatte.
    Das
innere Flattern verstärkte sich. Er versuchte, sich die Situation erneut vor
Augen zu führen, wiederholte das Geschehen in seinem Kopf, vermischte es mit
seinen überbordenden Visionen, doch er fühlte keine rechte Befriedigung dabei.
Vielleicht, weil es ein Mädchen war. Er hätte sich von vornherein für einen
Jungen entscheiden sollen. Allein schon der Gedanke war viel erregender als die
Erinnerung an das Mädchen.
    Er
setzte sich in sein Auto. Weit weg wollte er, raus aus der Stadt, tief in die
Eifel hinein. Die Luft war angenehm warm und es war lange hell. Einige Kinder
waren noch unterwegs. Je weiter er fuhr, desto stärker trieb ihn der innere
Druck voran. Er verringerte die Geschwindigkeit. Die Scheiben hatte er
heruntergelassen.
    An
einem Spielplatz rollte er im Schritttempo vorbei. Eine Gruppe Jugendlicher
stand dort zusammen. Sie rauchten und tranken.
    Angewidert
wandte er sich ab. Fuhr weiter. Ein Jäger auf der Pirsch. Auf der Suche nach
seiner Beute.
    Schon
wieder musste an seinen Vater denken. Der ihm beigebracht hatte, dass das Jagen
zum Urverhalten des Menschen gehörte. Genau sah er vor sich, wie Vater in
triumphierender Haltung den schweren Rehbock trug, der leblos über seiner
Schulter hing. Noch immer waren ihm

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