Vulkanpark
Kinn bebte. Sie
hielt die Arme schützend vor der Brust verschränkt.
»Du
zitterst ja«, sagte Konny mitfühlend. Sanft löste er die verschränkten Arme, um
sie besser zu spüren.
»Solche
Erfahrungen sind nicht eben leicht wegzustecken.« Sie seufzte auf.
»Wahrscheinlich wär’s mir noch schlechter ergangen, wenn die mich zu Hause
gelassen hätten. Aber irgendwie tun sie mir auch leid.«
»Hast
du Kontakt zu ihnen?«, fragte er, obwohl er sich viel lieber mit ihr über etwas
anderes unterhalten hätte. Über ihre gemeinsame Zukunft beispielsweise.
»Sporadisch.
Sie sind halt niemand, worauf man stolz sein könnte. Das Kind werde ich von
ihnen fernhalten. Bevor sie mit dem die gleiche Scheiße veranstalten wie mit
mir.«
Sie
drehte sich zu ihm hin. »Wolltest du wirklich niemals wissen, woher du stammst,
wo deine Wurzeln sind?«, fragte sie und schmiegte den Kopf in seine Halsbeuge.
Er berührte mit seinen Lippen ihr Haar. »Ich meine, so schlimm, wie sich das
auch alles anhört, aber es ist mein Leben. Es gehört zu mir.«
Er
schwieg eine Weile und streichelte sie. Er wollte nicht zugeben, wie oft er
darüber schon nachgedacht hatte. Schließlich sagte er: »Mir geht’s doch gut.«
»Trotzdem.
Ich glaube, man kann vieles besser verstehen. Man hadert nicht.«
»Ich
hadere sowieso nicht«, er lachte auf, »dazu hab ich überhaupt keinen Grund.
Meine Eltern sind vielleicht ein bisschen zu heilig. Besonders mein Vater
verhält sich manchmal wie der Stellvertreter von dem da oben auf Erden. Aber im
Großen und Ganzen sind die beiden in Ordnung. Ohne sie und ihre Geduld wäre ich
nicht der, der ich heute bin.«
»Darum
beneide ich dich wirklich.« Ihre Stimme schwankte leicht. Sie blinzelte und
atmete hörbar durch den Mund. Dann zog sie die Nase hoch. Weinte sie etwa?
»Was
ist eigentlich mit deiner Schule?«, fragte er schnell.
Sie
machte eine unwirsche Handbewegung. »Sind doch bald Ferien.«
»Was
heißt das denn?« Seine Stimme klang tadelnd. »Ich verstehe nicht, weshalb du
nicht regelmäßig in die Schule gehst. Bildung ist doch wichtig. Und wie willst
du einen Beruf lernen, wenn du keinen ordentlichen Schulabschluss hast? Du
musst doch deinem Kind was bieten können.«
»Jetzt
hörst du dich genau so an wie unsere Erzieher.« Sie streckte die Hand aus und
berührte sein Handgelenk. Die Berührung war so elektrisierend, dass er
zusammenzuckte. »Aber du hast ja recht.«
»Wenn
ich dir bei etwas helfen soll, kannst du jederzeit zu mir kommen.«
»Weiß
ich doch.«
»Wir
schaffen das, wir zwei.« Er drückte sie fest an sich.
»Konny
und Britta gegen den Rest der Welt«, murmelte sie und lehnte ihren Kopf an
seine Schulter. »Ich war noch nie so glücklich wie jetzt«, sagte sie leise.
Dann sah sie zu ihm hoch.
»Ich
wollte, ich hätte auch solche Eltern wie du. Wenn dabei solche tollen Menschen
herauskommen.«
»Sie
haben mich nicht selbst gemacht.« Er lachte über seinen eigenen Scherz.
Sie
blieb ernst und schien einen Moment zu überlegen. Dann blickte sie ihm fest in
die Augen: »Meinst du, ich könnte bei euch wohnen? Zumindest eine Zeit lang?«
12
Franca machte ihren guten Draht
zur Wache geltend und lieh sich eines der blausilbernen Streifenfahrzeuge aus.
Schließlich hatte sie dem Kind versprochen, dass es in einem richtigen
Polizeiauto fahren durfte, und es gelang ihr, Lara zumindest ein wenig zu
beeindrucken.
Von
Herrn Weisglas wurden Franca und Clarissa mit kräftigem Handschlag begrüßt. Er
war ein mittelgroßer, dicklicher Mann mit bürstenähnlichem Schnurrbart und
einer Brille mit dunklem, auffälligem Rahmen. Als er seine kleine Tochter sah,
breitete er die Arme aus und ging in die Hocke. Lara rannte ihm entgegen. Er
fing sie auf, hob sie hoch und schwang sie herum. Lara lachte laut.
»Wir
haben Urlaub«, sagte Frau Weisglas. »Sonst arbeiten in Fabrik. Beide. Auch
Verwandte dort arbeiten.«
Sobald
Lara ihr Zuhause betreten hatte, wirkte sie wesentlich unbefangener. Man
merkte, dass sich das Kind in vertrauter Umgebung bewegte und dass es sich hier
wohlfühlte.
Die
Wohnung war sauber und ordentlich aufgeräumt. Reiche Leute waren die Weisglas’
nicht. Aber offenbar gut integriert. Lara hatte mehrere Geschwister. Die beiden
älteren Brüder spielten in Fußballvereinen, wie zahlreiche Fotos an der
Wohnzimmerwand demonstrierten. Ihr Zimmer teilte sich Lara mit der vier Jahre
älteren Schwester.
Man bot
den beiden Polizistinnen einen Tee an. Franca nahm das Angebot
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