Vulkanpark
Sie sah, dass Halbzeit beim
Fußballspiel war und er den Ton ausgeschaltet hatte. Er sah ihr forschend ins
Gesicht. »Um den machst du dir keine Sorgen?«
Sie
presste die Lippen zusammen. »Er ist erwachsen.« Sie sagte nicht, dass sie
vermutete, ihr Mann habe eine Freundin. Weil er immer öfter spät nach Hause
kam. Aber vielleicht brauchte sie das auch gar nicht zu sagen. Vielleicht
wussten das schon alle. »Willst du was essen? Ich hab Fleischwurst da und
frische Brötchen«, bot sie ihrem Bruder an.
»Wenn
du mich so fragst, gern.«
Sie
ging in die Küche und richtete das Essen. Sie selbst hatte keinen Hunger.
Vielleicht aß sie nachher noch etwas zusammen mit Timo. Der war nach dem
Fußballspielen immer hungrig.
Timo
war zugleich ihr Sorgenkind und ihr Sonnenschein. Er war oft krank gewesen. Wie
viel Zeit hatte sie in den Wartezimmern der Ärzte gesessen. Bronchitis,
Mittelohrentzündung, Allergien, Neurodermitis. Sie hatte alle möglichen
Medikamente und empfohlenen Verhaltensweisen ausprobiert, die viel Geduld
verlangten. Die Neurodermitis war so gut wie ausgeheilt, auch weil sie auf
entsprechende Ernährung und Kleidung achtete. Je älter er wurde, umso mehr
schwanden die Beeinträchtigungen. Sein fröhliches Lachen machte alles wieder
wett. Er war ein neugieriges Kind und ein unruhiger Geist, der nie still sitzen
konnte. Worüber sich auch mancher Lehrer bei den Elternsprechstunden beklagte.
Natürlich liebte sie ihr Kind über alles. Vielleicht machte sie sich zu viele
Sorgen, das konnte durchaus sein.
Gern
hätte sie weitere Kinder gehabt, doch die Ärzte rieten ihr nach der schweren
Geburt, besser keine mehr zu bekommen. Dann war sie doch noch mal schwanger
geworden, aber das Kind war ihr nicht geblieben. Im dritten Monat hatte sie
eine Fehlgeburt erlitten. Damals wusste sie nicht, ob sie erleichtert oder
traurig sein sollte. Fortan hatte sie sich noch mehr an Timo geklammert.
Der
Himmel färbte sich nun dunkelviolett, die Straßenlaternen waren schon länger
eingeschaltet. Am Himmel stand der Vollmond. Wenigstens war es noch immer
einigermaßen hell.
Sie
brachte ihrem Bruder die belegten Brötchen, dann stellte sie sich an die
Haustür und wartete. Ein Heimchen zirpte. Dieses Geräusch, dem sie
normalerweise etwas Beruhigendes beimaß, löste etwas Merkwürdiges in ihr aus.
Plötzlich spürte sie eine unerklärliche Unruhe aufkommen. Wie getrieben lief
sie einige Male die Straße vor bis zur Kreuzung und wieder zurück.
Ein
Lichtstrahl bog um die Ecke. Es war Heinrich, der den silberfarbenen Golf unter
den Carport fuhr, ausstieg und den Wagen abschloss. »Was ist?«, fragte er, als
er seine Frau mit hängenden Schultern dastehen sah. Seine Stimme klang feindselig,
so, als ob er einen Vorwurf erwartete.
»Timo
ist noch nicht da.«
»Der
kann was erleben, wenn er nach Hause kommt«, brummte Heinrich.
»Du
musst nicht immer gleich drohen«, antwortete Barbara schwach. »Ich hab vorhin
mit ihm telefoniert. Nach dem Spiel wollte er gleich los.«
Zusammen
gingen sie ins Haus.
»Wo
kommst du denn her? Jetzt hast du das Fußballspiel verpasst«, begrüßte Walter
seinen Schwager. Aus dem Fernsehgerät drangen Jubelklänge. Verschwitzte Spieler
gaben Kommentare ab.
»Ich
bin aufgehalten worden.« Gereizt nahm er die Fernbedienung in die Hand und
schaltete den Apparat aus.
»Interessiert
dich denn gar nicht, wer gewonnen hat?«, fragte Walter.
»Ach!«
Heinrich machte eine unwirsche Bewegung mit der Hand.
Barbara
schaute ihren Bruder hilflos mit hängenden Schultern an.
»Soll
ich Timo entgegenfahren?«
»Nein,
schon gut. Er muss jeden Moment da sein«, meinte sie zuversichtlicher als ihr
zumute war.
»Hat er
das schon öfter gemacht, dass er so spät kam?«, erkundigte sich Walter.
»Der
macht doch, was er will«, blökte Heinrich aus der Küche, wo er sich
offensichtlich ein Bier aus dem Kühlschrank genommen hatte.
»Mit
dem kann man nicht mehr vernünftig reden«, flüsterte sie und blickte
stirnrunzelnd in Richtung Küche.
»Du
bist nicht zu beneiden, Schwesterchen.« Walter umarmte sie. »Ich geh jetzt
besser. Wenn du mich brauchst, sagst du Bescheid, ja?«
Mit der
Bierflasche in der Hand kam Heinrich zurück ins Wohnzimmer, machte den
Fernseher wieder an und setzte sich aufs Sofa.
Barbara
sah auf die Uhr. Wieso war Timo noch immer nicht zu Hause? Über eine Stunde war
es bereits her, dass sie mit ihm telefoniert hatte. Die schlimmen Gedanken, die
sich einen Weg in ihr Gehirn bahnen
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