Vulkanpark
wollten, drängte sie zurück. Schon so oft
hatte sie sich unnötig Sorgen gemacht, und dann hatte Timo plötzlich in der Tür
gestanden und gelacht. Sie stand auf.
»Du
machst einen ganz nervös.« Heinrich stellte den Ton lauter. »Wenn er kommt,
kriegt der den Arsch versohlt«, brummte er.
Barbara
verdrehte genervt die Augen. »Was anderes fällt dir nicht ein?«
Sie
ging zum Telefon und wählte nochmals seine Handynummer. Etwas Merkwürdiges
geschah. Es wurde zwar abgenommen, aber niemand sagte etwas. Plötzlich kicherte
jemand, und es waren Stimmen im Hintergrund zu hören. Dann wurde aufgelegt. Sie
betätigte die Wahlwiederholung. Doch diesmal hob niemand ab. Auch nicht ein
paar Minuten später.
Eine
Episode, die ihr Panik bereitet hatte, kam ihr in den Sinn. Ein Familienurlaub
an der Ostsee. Heinrich war in der Ferienwohnung geblieben. Sie spazierte am
Strand entlang, schob den Buggy, Timo, der vielleicht zwei Jahre alt war, lief
nebenher. Sie wusste nicht, wie es passieren konnte, aber plötzlich war er
nicht mehr da. Sie sah sich um, rannte panisch hierhin, dorthin, rief seinen
Namen, befragte Menschen. Unvorstellbares drängte sich in ihren Kopf. Eine
Welle konnte ihr Kind verschlungen haben. Jemand hatte ihre Unkonzentriertheit
ausgenutzt und ihr Kind entführt. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie fühlte
sich furchtbar schuldig, weil sie nicht besser aufgepasst hatte. Weil sie in
Gedanken gewesen war. Und dann sah sie ihn seelenruhig hinter einer Düne
sitzen, wo er eine Sandburg baute. Sie hatte ihr Kind hochgerissen und an sich
gedrückt, gleichzeitig geweint und gelacht und sich so unendlich erleichtert
gefühlt.
An
diesem Gedanken hielt sie sich fest. Dass sich dieses Gefühl ganz sicher bald
einstellen würde: die unendliche Erleichterung nach der überstandenen Panik.
Aber
Timo kam und kam nicht. Barbara hielt es nicht mehr zu Hause aus. Angst kroch in
ihr hoch. Gedanken, die sie nicht wirklich denken wollte, drängten längst in
ihr Gehirn.
Sie
lief zurück ins Wohnzimmer.
»Ist
Timo etwa immer noch nicht da?«, fragte ihr Mann.
Sie
schüttelte den Kopf. »Bitte lass uns ihm entgegenfahren«, bat sie. »Vielleicht
ist er gestürzt und liegt irgendwo im Straßengraben.«
Ohne
ein Wort nahm Heinrich die Autoschlüssel. Sie merkte ihm an, dass er nicht mehr
so ruhig war wie vorher.
Sie
fuhren los. Langsam glitt der Wagen durch die menschenleeren Straßen.
Krampfhaft schaute sie den Straßenrand entlang. Doch da war nichts Auffälliges.
Als sie am Bolzplatz ankamen, trafen sie auf zwei ältere Jungen, die gerade
nach Hause wollten. »Aber der Timo ist doch schon ewig losgefahren«, sagte der
eine.
Barbara
sah ihren Mann erschrocken an. Eine eiserne Faust griff nach ihrem Herzen. Blut
rauschte in ihrem Kopf, das sich zu einem hellen Sirrton verstärkte. Eine
fürchterliche Ahnung ballte sich in ihr zusammen. Sie zitterte am ganzen Leib,
als sie die Zahlen 110 in ihr Handy eintippte.
17
Sie hatte kaum die Haustür
aufgeschlossen, da öffnete sich seine Wohnungstür. Benjamin kam heraus und
stellte sich ihr auf der Treppe in den Weg.
»Du
hast mir was versprochen.« Sein Tonfall und sein Blick hatten etwas
Besitzergreifendes.
»Wie
spät ist es eigentlich?« Nach der Arbeit hatte sie noch mit Clarissa und
Hinterhuber im Weindorf gesessen. Solche privaten Zusammenkünfte waren rar, und
sie schätzte sie dann umso mehr, auch wenn sich die Gespräche doch
hauptsächlich um Dienstliches drehten. Jetzt fühlte sie sich müde und wollte
nichts wie ab ins Bett. Nach halbherzigen Verteidigungsreden stand ihr absolut
nicht der Sinn.
Seine
Miene verfinsterte sich. »Sag doch gleich, dass du mich nicht mehr sehen
willst. Dann können wir uns diesen ganzen Sermon hier ersparen.« Das klang
beleidigt.
»Das
stimmt doch gar nicht«, seufzte sie. »Aber im Moment … « Sie
kam nicht weiter. Wie bei ihrer letzten Begegnung legte er einfach die Arme um
sie, bog ihren Kopf ein wenig nach hinten und verschloss ihren Mund mit einem
Kuss. Halbherzig versuchte sie, sich zu wehren. Doch schon bald gab sie ihren
Widerstand auf und ließ sich von ihm in seine Wohnung drängen. Es war zu schön,
dieses Gefühl, begehrt zu werden und sich fallen zu lassen. Sie spürte ein
Flattern, das durch ihren gesamten Körper wanderte. Ihre Zunge berührte seine
Zunge, fuhr über seine Zähne und drängte an die weichen Innenseiten seiner
Lippen. »Ich bin doch viel zu alt für dich«, protestierte sie zwischen
Weitere Kostenlose Bücher