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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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drei Tagen hier. Da lag der Sack noch nicht im Wasser. Das wäre ihm
aufgefallen.«
    Grausam
war das, was sich in dem Müllsack befand, schrecklich, furchtbar. Eine neue
Variante dessen, was sich Unbeschreibliches hinter dürren Worten verbergen
konnte. Franca dachte an Barbara und Heinrich Sielacks und fürchtete sich vor
dem Moment, Timos Eltern Bericht erstatten zu müssen. Hoffentlich bestanden sie
nicht darauf, das, was von ihrem Sohn noch übrig war, zu sehen.

27
     
    »Ich spüre mein Kind hier in
mir drin«, Timos Mutter fasste mit der Hand auf ihr Herz, »aber ich kann es
nicht berühren. Es ist, als ob Timo neben mir steht und mich zu sich winkt. Im
ersten Moment denke ich, ach, da ist er ja, und bin total erleichtert. Ich gehe
mit ausgestreckten Armen auf ihn zu und will ihm sagen, dass er mir einen
gehörigen Schrecken eingejagt hat – und dann ist er wieder weg. Verschwunden.«
Sie zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Verrückt, nicht?
Dabei möchte ich nur, dass der Schmerz weggeht. Dieses unerträgliche Feuer in
mir drin. Von dem ich nicht weiß, wie ich das löschen soll.« Barbara Sielacks
entfuhr ein tiefer Seufzer, bevor sie sich auf die Handknöchel biss. Sie hatte
rot verweinte, geschwollene Augen.
    Franca
hörte geduldig zu und nickte verständnisvoll. Sie war selbst Mutter und ahnte,
was es bedeutete, ein Kind auf solche Weise zu verlieren. Dennoch vermochte sie
sich diese Ungeheuerlichkeit nicht in letzter Konsequenz vorzustellen. Aber sie
war auch die Überbringerin der schlimmen Nachricht und nicht zuletzt
Polizistin, die einen klaren Kopf behalten musste.
    »Danke,
dass Sie gekommen sind«, sagte Timos Mutter. »Es ist zwar schlimm, und ich kann
es wahrscheinlich noch gar nicht richtig begreifen. Aber wenigstens hat diese
furchtbare Ungewissheit ein Ende.« Sie schluckte und sah eine Weile still auf
das zerknüllte Taschentuch in ihren Händen. Dann hob sie den Blick. »Ich frage
mich die ganze Zeit, was das Letzte war, das er gesehen hat. Was er gespürt
hat.« Franca sah die Panik in ihren Augen. »Wie genau … ist er
zu Tode gekommen?«, fragte sie tonlos.
    Obwohl
Franca diese Frage erwartet hatte, tat sie sich schwer mit der Antwort. »Das
wissen wir noch nicht ganz genau. Wir müssen die Obduktionsergebnisse
abwarten«, flüchtete sie sich in eine vage Antwort.
    »Ich
will ihn sehen!«, sagte Barbara Sielacks plötzlich mit Bestimmtheit. »Und ich
will alles wissen. Bitte sagen Sie mir die Wahrheit. Auch wenn sie noch so brutal
ist.«
    Franca
wollte einlenken. »Es wäre besser, wenn Sie Ihren Sohn so in Erinnerung
behielten, wie Sie ihn kannten.«
    Frau
Sielacks schüttelte den Kopf. Biss sich auf die Lippen. »Ich kann es erst
glauben, wenn ich ihn sehe. Und ich muss mich von ihm verabschieden. Das
verstehen Sie doch, oder? Bitte verweigern Sie mir das nicht.« Das klang
flehentlich.
    Franca
hatte unendliches Mitleid mit der zierlichen Frau, die so tapfer war. Obwohl
man ihr ansah, welche Qualen sie durchlitt.
    »Ich
habe Ihnen Fotos mitgebracht, für den Fall … «
    »Ja.
Bitte zeigen Sie sie mir. Wenn ich sonst schon nichts mehr für meinen Jungen
tun kann, will ich wenigstens wissen, wie er gelitten hat.«
    Franca
legte ein Foto nach dem anderen auf den Tisch. Zunächst die harmloseren, auf denen
der Fluss und die umstehenden Bäume zu sehen waren. Die Polizisten, die in
ihren weißen Schutzanzügen wie Fremdkörper wirkten, die dort in dieser
friedlichen Idylle eigentlich nichts zu suchen hatten. Dann sah man den
entwurzelten Baumstamm, der quer über dem Fluss lag, den schwarzen Müllsack am
Ufer, aus dem etwas Dunkelglänzendes wie ein nasses Fell herausschaute, in dem
sich Blätter verfangen hatten.
    Barbara
Sielacks entfuhr ein spitzer Schrei. Sie schlug die Hand vor den Mund.
    »Es ist
alles zu viel, nicht wahr?« Franca war besorgt. »Wir hören besser damit auf.«
    »Nein,
bitte entschuldigen Sie, ich will alles sehen.«
    Sie
hatte ein Recht darauf, so schmerzlich es auch war. Franca war darauf
vorbereitet. Manche Fotos waren Schwarz-Weiß-Abzüge. Frankenstein hatte die
Farbe herausgenommen, damit das Blut unwirklicher aussah. Manche hatte er
bearbeitet, das gar zu Schreckliche wegretuschiert. Foto um Foto legte Franca
vor Barbara Sielacks hin und beobachtete ihre Reaktion.
    Intensiv
betrachtete sie eines der Fotos, auf dem Timos unversehrtes Gesicht zu sehen
war.
    »Er
sieht aus, als ob er schläft«, sagte sie zärtlich.
    Franca
verspürte das

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