Vulkanpark
dichtes Laubdach, das durch die
Regentropfen auf den Blättern verstärkt wurde und zusammen mit dem stetigen
Rauschen des Flüsschens eine unwirkliche Atmosphäre heraufbeschwor. Einen
Augenblick lang hatte Franca die Illusion, sich in einem Heimatfilm zu
befinden. Dieser Gedankenblitz war sofort zunichte, als Franca die Kollegen in
ihren weißen Schutzanzügen sah, die die mit rot-weißem Plastikband abgesperrte
Umgebung rechts und links des Ufers absuchten, sich bückten, maßen und
fotografierten.
Wie
schon so oft erstaunte sie dieses Nebeneinander von friedlicher Idylle und
gewaltsamem Tod.
Aus dem
Wasser war ein schwarzer Plastikmüllsack geborgen worden, der am Ufer lag. Der
junge Mann, der den vermeintlichen Unrat entsorgen wollte, war ziemlich
erschrocken über den Inhalt des Müllsacks gewesen und hatte sofort die Polizei
verständigt.
Frankenstein
kam zusammen mit Hinterhuber den beiden Frauen entgegen. Der Gesichtsausdruck
der Männer verhieß nichts Gutes.
»Und?«,
fragte Franca.
»Es ist
wahrscheinlich der vermisste Junge.« Hinterhuber kratzte sich mit dem
Daumennagel über das Kinn, was ein schabendes Geräusch verursachte. Clarissa
wollte an Frankenstein vorbei. Der Kriminaltechniker hielt sie zurück.
»Mädchen. Das ist nichts für dich.« Er fuhr sich durch das wirre Haar.
»Das
ist nicht meine erste Leiche«, antwortete sie tapfer und schluckte.
»Trotzdem.
Tu dir das nicht an. Man muss nicht alles … «
Sie
ignorierte seine Warnung, ging direkt auf den Plastiksack zu.
Franca
folgte ihr mit einem flauen Gefühl im Magen. Clarissa hatte sich
Einmalhandschuhe übergezogen und kaum die schwarze Folie angehoben, da ließ sie
sie schon wieder fallen, stand kurz wie erstarrt und rannte schließlich mit
schnellen Schritten ins angrenzende Gebüsch.
Francas
Beine begannen zu zittern. Angesichts dessen, was sie in dem Müllsack vorfand,
überfielen sie Ohnmacht und Wut. Sie versuchte, ihren Atem zu kontrollieren und
den stechend bitteren Geschmack in ihrem Mund zu ignorieren. Zu ihren Füßen lag
das, was einmal ein lebendiges Kind gewesen war. Eingepackt in einen Müllsack
und nach Gebrauch weggeworfen. Dunkle, feuchte Haare schauten zwischen dem
Plastik hervor. Sie roch Cadaverin. Irene Seiler von der Bonner Rechtsmedizin
hatte ihr einmal erklärt, wie die stinkende Stickstoffverbindung entsteht. Dass
mit dem Tod die Körperzellen und deren Wände zerfallen. Dann wandern die
Bakterien durch den Körper und sind mitverantwortlich für den Verwesungsprozess.
Irene Seiler hatte damals ganz enthusiastisch geklungen, weil die
Fäulnisbakterien oft bei der Lösung ungeklärter Todesfälle behilflich seien.
Schwindel
überfiel Franca. Ihr Magen rebellierte. Den Würgereiz hielt sie nur mühsam
zurück. Ein Kind, das sein ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte, übel
zugerichtet, missbraucht und weggeworfen in einem Müllsack. Ging es noch
unwürdiger?
Frankenstein
war neben sie getreten. »Ich hätte euch beiden das hier gern erspart«, sagte er
leise. »Wenn man nur ein bisschen Ehrfurcht vor der Schöpfung hat … « Mit
verschleiertem Blick sah er hinüber zu Clarissa. »Die Kleine hat’s ganz schön
mitgenommen.«
Die
Jungkommissarin lehnte mit dem Rücken an einem Buchenstamm. Tränen liefen ihr
die Wangen hinunter. Ihr Gesicht war bleich.
»Ach,
Frankenstein«, antwortete Franca. »Ist es nicht ein Scheißberuf, den wir
haben?« Sie gab sich einen Ruck und lief mit zitternden Beinen hinüber zu
Clarissa. »Alles in Ordnung?«, fragte sie leise und strich ihr über den Arm.
»Ich
wollte es ja nicht anders.« Clarissa presste die Lippen zusammen. Noch immer
strömten Tränen über ihre Wangen. »Haste mal ein Tempo?«, schniefte sie.
Franca
kramte ein Papiertaschentuch hervor und reichte es der jungen Kollegin. Dann
ging sie zu Frankenstein zurück.
»Ist das
die ursprüngliche Fundsituation?«
»Wir
haben noch nichts angerührt. Du bestehst doch immer drauf, die Erste zu sein.«
»Schon
gut«, winkte sie ab. »Wie lang ist er schon tot?« An diese Aufgabe musste
genauso sachlich herangegangen werden wie an alle bisherigen.
»Ein
paar Tage, höchstens eine Woche, würde ich schätzen. Die Rechtsmedizin ist
bereits verständigt. Da kommt gleich jemand.«
»Der
Täter muss sich hier ausgekannt haben«, bemerkte Hinterhuber. »An dieser Stelle
kommt man nicht einfach so zufällig vorbei.«
»Der
junge Mann sagte, dass er hier regelmäßig nach dem Rechten sieht. Zuletzt war
er vor
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