Vulkanpark
spontane Bedürfnis, Barbara Sielacks in die Arme zu nehmen, doch
sie unterdrückte dieses Gefühl, weil sie wusste, es war zu gefährlich, als
Polizistin solche Dinge allzu nah an sich heranzulassen. Zumal sie dieser Fall
sowieso schon bis in den Schlaf verfolgte. »Es tut mir alles so wahnsinnig
leid«, äußerte sie mitfühlend. »Wenn Sie möchten, dürfen Sie die Fotos gern
behalten.«
»Ich
bin Ihnen sehr dankbar für das alles«, antwortete Barbara Sielacks schließlich
im Flüsterton. »Mir ist klar, dass das nicht selbstverständlich ist. Mein Mann
wird das nicht sehen wollen.« Sie blinzelte heftig und schluckte. »Aber für
mich ist das ganz wichtig. Jetzt weiß ich wirklich, dass Timo tot ist. Es ist
ein Abschluss. Und nur nach einem Abschluss kann etwas Neues beginnen.« Sie sah
Franca in die Augen und fuhr sich mit schmalen Händen durchs rötliche Haar.
»Timo ist tot. Das ist eine Katastrophe. Aber wir Hinterbliebenen, wir müssen
doch irgendwie weitermachen. Irgendwann später möchte ich mal wieder lachen
können. Obwohl ich mir das in diesem Moment nicht wirklich vorstellen kann.«
Das klang so furchtbar vernünftig.
Doch
mit einem Mal war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Der Schrei, den sie
ausstieß, war markerschütternd.
»Was
ist das nur für ein Mensch, der einem kleinen Kind so etwas Schlimmes antut?«
28
»Hast du eigentlich mit deinen
Eltern gesprochen?«, fragte sie und sah Konny schräg von unten her an.
Er wand
sich ein wenig. »Noch nicht. Ich denke, wir sollten noch eine Weile warten. Im
Moment ist die Stimmung nicht besonders.«
Sie
kaute auf ihren Lippen und sah unruhig um sich. »Hast du was zu trinken da?«,
fragte Britta schließlich.
»Ich
kann dir gern ein Glas Wasser holen. Oder möchtest du Saft?«
»Och
nee«, sagte sie gedehnt. »Hast du nichts anderes?«
»Was
denn?«
»Na,
Wein oder Sekt oder so.«
»Britta,
du bist schwanger!«
»Na
und? Mir geht’s grad nicht so gut. Ich hab echt geglaubt, dass ich bei dir
wohnen kann. Aber wie die Sache aussieht, wird das wohl nichts. Und da, wo ich
die ganze Zeit war, kann ich auch nicht mehr hin. Jetzt brauch ich was zum
Kippen.«
Er sah
sie entsetzt an. »Aber das schadet doch dem Kind.«
»Ach
Quatsch«, fauchte sie und fummelte eine Zigarette aus der Schachtel. »Mist, das
ist die letzte.«
»Wieso
kannst du denn nicht mehr ins Heim zurück?« Er sah ihr ins Gesicht. Sie war
blass, blasser als sonst, und wirkte sehr nervös. Auch bemerkte er, dass ihre
Augen tief in den Höhlen lagen. Sie sah krank aus.
»Britta,
was ist denn los? Du rauchst, du trinkst. Mit der Schule hast du nichts mehr am
Hut. Und jetzt bist du auch noch aus dem Heim geflogen.« Fehlt nur noch, dass
du klaust und lügst. Aber das sagte er nicht laut. »Dauernd erklärst du mir, du
würdest dein Leben ändern. Ich hab dir angeboten, mit dir zusammen den
Schulstoff aufzuholen, das ist doch die Voraussetzung dafür, dass es dir mal
besser geht. Aber davon willst du überhaupt nichts wissen.«
»Ich
will mir von diesem Balg nicht alles verderben lassen«, trumpfte sie trotzig
auf.
»Was?
Wie redest du denn?« Er war entsetzt. Sowohl über ihre Aussage als auch über
seine Beobachtung. Und noch mehr darüber, dass seine Eltern recht mit ihrer
Vermutung hatten. Offenbar wollte Britta nichts dazu beitragen, um ihre
missliche Lage zu verändern.
»Ach,
du hast doch keine Ahnung. Du lebst hier in deinem behüteten Heim, umsorgt von
deinen lieben Eltern. Bekommst jeden Wunsch erfüllt. Und ich?«
Plötzlich
traten ihr Tränen in die Augen.
»Du
hast doch mich«, versuchte er sie halbherzig zu trösten.
»Und
wie lang noch? Dauernd kritisierst du an mir herum und machst mir
Vorschriften.« Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und putzte sich
geräuschvoll die Nase.
»Ich
mach dir keine Vorschriften. Ich appelliere an deine Vernunft.«
Sie sah
ihn entgeistert an. »Was machst du?«
»Ich
gehe davon aus, dass du ein vernünftiger Mensch bist, der weiß, was er tut, der
sein Leben selber in die Hand nehmen kann, dem bestimmte Dinge wichtig sind.
Aber ehrlich gesagt habe ich zunehmend das Gefühl, du willst gar nichts ändern.
Du willst weiter so leben, ohne Ziele, einfach in den Tag hinein, und lässt
alles auf dich zukommen.«
Abrupt
stand sie auf. Ihre Augen blitzten. »Bist du fertig? Das war’s ja dann wohl.«
Sie
rannte zur Tür.
»Britta.
Warte doch!«
»Arschloch!«
Die Tür knallte hinter ihr zu.
29
Clarissa
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