Vulkanpark
legte einen Hefter auf
Francas Schreibtisch. »Der Obduktionsbericht.«
»Hast
du schon reingeschaut?«, fragte Franca. Die Jungkommissarin schüttelte den
Kopf. »Ehrlich gesagt, ich trau mich nicht.«
»Schon
okay.« Allen ging dieser Fall an die Nieren. Auch Clarissa hatte einen leiseren
Ton angeschlagen, ihre übliche Coolness war zumindest zeitweise tiefer
Nachdenklichkeit gewichen.
Franca
schlug den Hefter auf und überflog die einzelnen Angaben. Als Todeszeitpunkt
waren die Abendstunden des 15. Juli angegeben. Also war der Junge in der Nacht
seines Verschwindens umgebracht worden. Dann musste er einige Tage in einem
Versteck gelegen haben. Bis der Täter zurückkam und ihn in die Nette warf.
Der
Junge war auf unterschiedliche Art misshandelt, gewürgt und gedrosselt worden.
In seinem Rachen steckte ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch. Fremdsperma
konnte keines nachgewiesen werden, jedoch wurden im Analbereich deutliche
Spuren von Lycopodiumsporen und Stärke gefunden, Substanzen, die das Verkleben
von aufgerolltem Latex verhinderten. Am gesamten Körper konnten zahlreiche
größere und kleinere Verletzungen nachgewiesen werden, darunter auch Verbrennungen.
Etliche dieser Wunden waren Abwehrverletzungen sowie Fixierverletzungen und
Druckspuren durch Festhalten. Das bedeutete, dass der Junge sich heftig gewehrt
haben musste. Größere Hämatome im Brustbereich ließen darauf schließen, dass
sich der Täter auf das Opfer gekniet hatte.
Vermutlich
hatte sich das Kind einige Stunden in den Händen des Täters befunden. Was ihm
während dieser Zeit zugefügt wurde, mochte Franca sich nicht in Einzelheiten
vorstellen. Eine ohnmächtige Wut überfiel sie beim Lesen dieser nüchtern
klingenden Zeilen.
»Todesursächlich
war eine Kombination aus Würgen und Drosseln. Drosselwerkzeug war vermutlich
eine Kordel oder Schnur. Zusätzlich ist dem Kind mit einem scharfen Messer die
Hauptschlagader durchtrennt worden. Offenbar wollte der Täter sichergehen, dass
der Junge tot ist.«
Franca
war der Obduzentin Irene Seiler einerseits dankbar, dass sie stets ihre
Berichte in einem verständlichen Deutsch verfasste, das nicht mit allzu vielen
Fachbegriffen gespickt war. Andererseits produzierten ihre Aussagen, obwohl sie
äußerst sachlich klangen, sofort schreckliche Bilder in Francas Hirn. Die
Rechtsmedizinerin hatte eine handschriftliche Notiz hinzugefügt: »Ich hoffe
sehr, Sie finden denjenigen bald, der diesem Kind das angetan hat.«
Franca
klappte den Hefter zu. Sie erinnerte sich an ein längeres Gespräch mit der
Ärztin, bei dem sie über ihr beider Berufsverständnis gesprochen hatten. Es
ging hauptsächlich darum, wie man all die schlimmen Eindrücke verarbeiten
konnte. Irene Seiler hatte ihr erzählt, dass sie normalerweise damit klarkäme,
täglich mit dem Tod konfrontiert zu werden. In der Regel schlafe sie nachts
gut. Aber wenn Kinder auf ihrem Seziertisch landeten, habe sie stets
Schwierigkeiten, dies zu verarbeiten. Das konnte Franca nur bestätigen.
Auch
der Staatsanwalt hatte einen handschriftlichen Vermerk angeheftet: »Keinerlei
Einzelheiten hierüber an die Presse.« Versehen mit drei Ausrufezeichen. Das war
eigentlich selbstverständlich. So etwas durfte niemals in die Hände von
Medienleuten gelangen.
Franca
gab den Hefter an Hinterhuber weiter, der ihn sofort durchlas.
Sie
überlegte, ob und in welcher Form sie den Obduktionsbericht Timos Mutter
zukommen lassen sollte. Barbara Sielacks hatte sie ausdrücklich darum gebeten.
Sie wolle genau wissen, woran ihr Kind gestorben sei und was man ihm vor seinem
Tod angetan habe.
Bei
Timos Eltern verbrachte Franca viel Zeit. In diesen Momenten war sie keine
Kontaktbeamtin, wie dies in der Polizeisprache hieß, sie war ein Mensch, der
mitfühlte.
Der
Vater hatte inzwischen zugegeben, am Abend von Timos Verschwinden bei seiner
Freundin gewesen zu sein, und diese hatte sein Alibi bestätigt. Die ohnehin
labile Beziehung von Timos Eltern wurde nun auf eine noch härtere Probe
gestellt. Zwar unterließen sie es weitgehend, gegenseitige Schuldzuweisungen in
der Öffentlichkeit auszusprechen, aber findige Journalisten schnappten dennoch
spitze Bemerkungen auf und kommentierten das bisweilen eisige Schweigen
zwischen den beiden, die sich gegenseitig in ihrem Schmerz allein ließen. Zu
der Trauer um den toten Sohn kamen die Enttäuschung und die Wunden, die sie
sich zusätzlich zufügten. Wenn dies auch noch in der Boulevardpresse
ausgebreitet wurde,
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