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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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Frage, die ich
Ihnen deshalb als Erstes stellen möchte, ist, ob Sie es für möglich halten,
dass der Täter sich nicht auf ein Geschlecht festgelegt haben könnte?«
    »War
das Mädchen ein ähnlicher Typus wie der Junge?«, wollte Berthold Olsen wissen.
    Franca
schüttelte den Kopf. »Weder äußerlich noch in ihrem Wesen glichen sich die
Kinder einander. Lara ist von der Statur her kleiner und zarter als Timo. Sie
macht eher einen schüchternen, zurückhaltenden Eindruck. Der Junge hat sich so
schnell nichts gefallen lassen. Die Abwehrspuren an seiner Leiche zeigen, dass
er sich heftig gewehrt haben muss. Seine Eltern, besonders der Vater, schildern
ihn als couragiert. Also gäbe es zwei verschiedene Opfertypen unterschiedlichen
Geschlechts.«
    Berthold
Olsen strich sich über den buschigen Schnauzer. »Nun, meiner Erfahrung nach
gibt es nicht den typischen Täter und auch nicht das typische Opfer. Ich würde
auch nicht unbedingt davon ausgehen, dass wir es mit einem Pädophilen zu tun
haben. Es kann auch eine Ersatzhandlung gewesen sein.«
    »Also
dass es ihm weniger um Sex im engeren Sinn ging, sondern um sein eigenes
Dominanzerleben, um totale Situationskontrolle, als er das Gefühl hatte, sich
des Opfers bemächtigt zu haben.« Clarissa hatte keine Frage gestellt, es war
eher eine Schlussfolgerung.
    »Sehr
gut kombiniert, Frau … Wie war noch mal Ihr Name?«
    »Clarissa
Sonnenberg«, sagte sie und errötete ein wenig.
    »Meist
gehen solchen Taten Omnipotenzfantasien voraus. Schon manchem ist die Situation
entglitten. Wenn dann noch Wut dazukommt … Die klassische Variante ist, wie Sie
alle wissen, die Verdeckungstat. Aus Angst, wiedererkannt zu werden, tötet er.
– Hat das Mädchen Angaben zum Aussehen des Täters machen können?«, wandte er sich
an Franca.
    »Es
gibt zwar ein Phantombild. Aber Laras Aussagen sind eher unzuverlässig. Über
den Täter sagte sie, er habe so ähnlich ausgesehen wie ihr Vater, was ich
allerdings von Anfang an infrage stellte.«
    »Ist
der Vater überprüft worden?«
    Franca
nickte. »Wir haben in beiden Fällen das unmittelbare Umfeld überprüft. Im Fall
des Mädchens kann der Vater oder ein anderer Verwandter mit hundertprozentiger
Sicherheit ausgeschlossen werden. Bei dem Jungen ist die Sachlage nicht so
eindeutig. Der Vater war an dem fraglichen Abend unterwegs und kam spät nach
Hause, obwohl er sich zusammen mit seinem Schwager ein Fußballspiel im
Fernsehen anschauen wollte. Später hat er zugegeben, bei einer Freundin gewesen
zu sein. Diese hat alles bestätigt. Dennoch klafft eine zeitliche Lücke von ca.
15 Minuten. Zeit genug, einen Mord zu begehen? Am eigenen Kind?« Franca sah
Berthold Olsen herausfordernd an.
    Der
Profiler zuckte die Achseln. »Noch weiß ich zu wenig, um mir ein Urteil zu
bilden. Ich kann Ihnen aus meiner bisherigen Erfahrung sagen, dass solche Täter
in der Regel das eigene Umfeld schützen. Sie suchen sich Opfer, zu denen sie
ein distanziertes Verhältnis haben. Sie entpersonifizieren sie und spielen mit
ihnen. In etwa, wie man mit Puppen spielt. Solche Täter handeln in der Regel
absichtsvoll, sie haben eine Strategie und sind insofern schon per se dem
arglosen Kind überlegen. Sie suchen sich bewusst jemanden Schwächeren, um ihre
eigene Macht zu spüren, wie Frau Sonnenberg erwähnt hat.« Er nickte Clarissa
zu. »Weil sie selbst gedemütigt wurden. Weil sie triebhaft sind. Die Gründe
sind vielfältig. Sexualtäter sind die beunruhigendsten aller Gewaltverbrecher,
weil sie am schwierigsten zu fassen sind«, erläuterte er weiter. »Das mag daran
liegen, dass sie meist von weit komplexeren Motiven als den uns bekannten
getrieben werden. Dadurch sind ihre Verhaltensmuster schwer nachvollziehbar.
Oft sind sie unfähig, normale Gefühle wie Mitleid, Schuld oder Reue zu
empfinden. Aber sie wissen, dass man solches von ihnen erwartet und in der
Regel sind sie geübt darin, sich auch genauso zu verhalten. Aber ihre soziale
Kompetenz ist gestört. Sie haben ein vollkommen anderes Empfinden davon, was
schön oder erregend ist. Ihr Inneres, ihre Fantasien geben sie nicht preis.
Wenn ihre Fantasien sich dann auswachsen, und sie versuchen, diese in der
Realität auszuleben, sind sie erstklassige Manipulateure, denen es um Dominanz
und Kontrolle geht. Es kann sich bei diesem Täter um einen verschrobenen
Einzelgänger handeln, es kann aber auch ein janusköpfiger Mann sein, dem
niemand eine solche Tat zutraut. Ein nach außen hin netter Mensch, der

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