Vulkanpark
hat.«
Sie war
verwirrt, weil das Gespräch eine vollkommen andere Richtung nahm als sie
angepeilt hatte.
»Man
sagt doch immer: Gleiches zieht Gleiches an.« Er hob die Schultern, ließ sie
wieder fallen. »Ist es nicht natürlich, dass ich wissen will, woher ich stamme?
Immer weicht ihr aus, wenn ich euch danach frage. Aber hat nicht jeder Mensch
das Recht, zu wissen, wo er herkommt?«
Sie
schluckte. »Wir haben stets offen mit dir gesprochen. Wir haben dir früh
mitgeteilt, dass du nicht unser leibliches Kind bist.« Das war die Wahrheit,
wenn auch nur die halbe.
»Aber
ihr habt mir nie erzählt, wer meine wirklichen Eltern sind. Wie sie heißen. Wo
sie wohnen. Ob sie überhaupt noch leben.« Finster starrte er vor sich hin.
»Ich
habe dir gesagt, dass deine Mutter dich viel zu jung bekommen hat und
vollkommen überfordert war«, versuchte sie sich zu verteidigen. »Wir wissen
doch selbst nicht viel darüber. Und wir fanden immer, dass für die Einzelheiten
noch Zeit ist.«
Sie war
mit einem völlig anderen Anliegen in Konnys Zimmer gekommen. Die Wendung, die
das Gespräch genommen hatte, behagte ihr überhaupt nicht.
»Okay,
dann ist eben jetzt die Zeit der großen Aussprache. Also, wie war das damals?
Ich war knapp zwei Jahre alt, als ihr mich erst in Pflege genommen und später
adoptiert habt. Da fand aber auch vorher was statt. In den zwei Jahren muss
doch einiges passiert sein.«
Mit
Schrecken dachte Andrea an das verängstigte und verwahrloste Kind, das ihnen
damals in Obhut gegeben wurde. Sein Haar war total verfilzt, ein Wunder, dass
er keine Läuse hatte. Die Haut an seinem Unterbauch war wund gewesen, weil die
Windeln nicht regelmäßig gewechselt worden waren. Konny hatte jämmerlich
aufgeschrien, wenn man ihn dort berührte. Erst nach und nach hatte sie die
ganze Misere seiner Herkunft erfahren. Und das war gut so, hätte sie vorher
alles gewusst, hätte sie wahrscheinlich stark daran gezweifelt, dass aus diesem
kleinen Menschen, der soviel hatte erdulden müssen und derart vernachlässigt
worden war, jemals ein glücklicher Erwachsener werden könnte. Insofern fanden
sie das Beste, seine beiden ersten Lebensjahre zu verdrängen. Auszumerzen aus
seinem Leben und aus ihrem. Was nutzte es ihm zu wissen, was man ihm da
Schlimmes angetan hatte? Das Jetzt zählte. Das Hier und Heute.
»Ihr
sprecht immer von der Wahrheit. Aber ihr maßt euch an, Teile davon einfach
wegzulassen. Weil ihr euch ein schöneres Bild von der Wahrheit zusammenbasteln
wollt. Sag mir doch einfach, was los ist. Ich bin bald volljährig. Ich weiß
schon, wie ich damit umzugehen habe.«
»Also
gut.« Von einem Sessel räumte sie ein paar Kleidungsstücke zur Seite und setzte
sich. Sie spürte ihr Herz bis zum Hals klopfen. »Deine Mutter war erst 16, als
sie mit dir schwanger war. Sie war schon länger drogensüchtig und hatte
versprochen, eine Entziehungskur zu machen. Sie war bereit, sich in einer
entsprechenden Einrichtung behandeln zu lassen, die dein Vater, also Rainer,
betreute. Eine Zeit lang ging wohl alles gut. Sie war voller guter Vorsätze und
hat sich auf dich gefreut. Aber sie hat sich wohl überschätzt.« Andrea
beobachtete ihren Sohn. Er hörte ihr scheinbar vollkommen ruhig zu. »Und mein
Erzeuger? Was ist mit ihm?«
Andrea
registrierte durchaus, dass er ›Erzeuger‹ sagte und nicht ›Vater‹. Sie hob die
Schultern. »Von ihm war nie die Rede. Wahrscheinlich weiß er gar nicht, dass er
ein Kind gezeugt hat.« Sie wollte das alles nicht sagen. Laut ausgesprochen
klang es so grausam, aber Konny sah sie weiter auffordernd an. So fuhr sie
fort: »Nachdem du geboren warst, war deine Mutter offenbar vollkommen
überfordert. Sie ist bald wieder rückfällig geworden und konnte sich nicht mehr
um dich kümmern. Wir wollten natürlich wissen, ob sie HIV-infiziert war und
dich vielleicht angesteckt hatte. Aber das war Gott sei Dank nicht der Fall. Du
warst ein ziemlich verschrecktes Kind. Es hat lang gedauert, bis du Vertrauen
zu uns gefasst hast.« An seinem Gesichtsausdruck konnte sie sein wachsendes
Entsetzen ablesen. Genau dieses Wissen hatte sie ihm ersparen wollen. Deswegen
hatte sie so lange geschwiegen. »Versteh mich bitte nicht falsch. Wir haben das
gern gemacht. Aber es hat uns alles viel Geduld und Mühe gekostet. Und wir,
dein Vater und ich, finden, dass aus dir ein ganz toller Mensch geworden ist,
du hast viel erreicht und machst bald dein Abitur. Dir steht die Welt offen.«
Er
schluckte ein paar
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