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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Pavels Gerede von möglichen
inneren Blutungen schien ihn zu beunruhigen. Anders, ein zwölfjähriger Junge,
der mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wurde. Mit den Händen
tastete er seinen Bauch ab, suchte nach Schwellungen, trotzige Augen füllten
sich mit Angst. Ich selbst behielt den General im Auge, der in seinem langen
Wintermantel elegant und gepflegt wirkte. Karpow ging ein Risiko ein, als er
sich entschied, Pavel als seinen Sprecher hinaufzuschicken. Die Idee war, so
die ersten Schrecksekunden zu entschärfen, während derer ein Mann für Dummheiten
anfällig ist, bevor ihm die Unausweichlichkeit der Situation klar und der Wille
zum Widerstand von Kompromissbereitschaft ersetzt wird. Zu hoch war der
Einsatz bei diesem Pokerspiel freilich nicht, dafür sorgte schon Lews Pistole,
aber ohne Risiko war die Sache trotzdem nicht. Ich glaubte zu erkennen, warum
der General sich darauf einließ. Karpow mochte Pavel. So
wie sie zusammen dagestanden und geraucht und die Gesichter bei jedem Zug
aufgeleuchtet hatten. Während Lew auf und ab lief und seine Befehle erwartete,
genossen sie gemeinsam einen Moment der Ruhe: lange genug, um die Vorgehensweise
zu besprechen und sich über die Schönheit einer Frau auszutauschen. Wir im Auto
beobachteten das alles mit stoischer Resignation, Schlachtvieh auf dem Weg zur
Abdeckerei. Wir konnten nur zusehen und warten. Ich erinnere mich, dass sich
trotz der Kälte Schweiß hinter meiner Augenklappe sammelte, den ich mit einem
Taschentuch wegzuwischen gezwungen war.
     
    Der Hausmeister hielt ihnen die
Tür auf und verschwand schnell zurück in seine Wohnung. Er hatte vor langer
Zeit schon gelernt, keine Neugier zu zeigen. Pavel stieg die Treppe hinauf und
las die Namen auf den Türschildern, wann immer sie eine neue Etage erreichten.
Lew hielt sich direkt hinter ihm, die Augen im Licht des Treppenhauses wie
durchsichtig. Zwischendurch blieb er immer wieder kurz stehen und spuckte etwas
Tabak aus dem Mundwinkel. Im vierten Stock steuerten sie auf eine Tür mit dem
Namen Braun zu. Ein Streifen Licht drang darunter hervor.
    »Gibt er sich als >Braun< aus?«, fragte Lew.
    »Nein. Das
sind die Leute, bei denen er sich versteckt hält. Aber jetzt kein Wort mehr.
Ich übernehme das Reden.«
    Pavel hob
die Hand und klopfte zweimal an die Tür. Ein Schatten bewegte sich durch den
Flur der Wohnung. Dann unschlüssige Stille.
    »Wer ist
da?«, klang es nach draußen.
    »Herr
Braun? Wir müssen mit Ihnen sprechen. Machen Sie bitte auf.« Sein Deutsch sanft
und gebildet, ein Arzt, der einen Hausbesuch macht. Die Tür öffnete sich einen
Spalt.
    »Wer sind
Sie?«
    »Bitte«,
sagte Pavel, »tun Sie nichts Unüberlegtes. Wir wollen nur den Professor
sprechen.«
    Der Mann
wollte etwas sagen, alles abstreiten und ihnen die Tür vor der Nase zumachen.
Dann sah er Lews Pistole. Sie war auf nichts Spezielles gerichtet, aber er
verstand.
    »Sind Sie
Russen?«, fragte er.
    »Ich bin
Amerikaner. Bitte. Wir wollen nur reden.«
    Der Mann
ließ den Kopf hängen und bat sie herein. Die braunsche Wohnung: ein Zimmer,
eine Küche und die Toilette auf halber Treppe. Im Wohnzimmer stand das Ehebett
neben ein Sofa gequetscht. Ein gesprungener Spiegel schmückte die Wand. Es roch
nach Blumenkohl und verbranntem Lack. Ein Küchenschrank lag zu Feuerholz
zerhackt auf dem Boden. Brauns Frau drehte sich vom Herd um, sie trug ihren
Mantel gegen die Kälte. Sie sah die Pistole und bekreuzigte sich. Pavel nickte
ihr grüßend zu und legte einen Finger an die Lippen.
    »Wo ist
er?«, fragte er, die Stimme flüsternd und doch beruhigend.
    Statt zu
antworten, schob Braun das durchgesessene Sofa zur Seite. Es bewegte sich
leicht, der Boden war vom vielen Hin und Her ganz glatt poliert. Die
Rückenlehne hatte eine halbhohe Tür verdeckt, die nur an ihrer hölzernen Klinke
und den Angeln zu erkennen war. Pavel bückte sich, um sie zu öffnen, aber Lew
stieß ihn zur Seite, holte tief Luft, blähte die Nüstern, riss die Tür endlich
auf und sprang nach drinnen.
    Die Kammer
hinter der Tür war gerade groß genug für eine Liege und einen Schreibtisch.
Einen Stuhl gab es nicht, man musste vom Bett aus arbeiten. Auf dem Bett saß
der Professor, ein älterer Mann, der einen Bademantel über Pullover und Hose
trug. Die Augen hinter der dicken Brille wirkten stark vergrößert. Die
ungepflegte Erscheinung eines Genies mit preußischem Backenbart. Es gab kein
Fenster, aus dem er sich hätte werfen können, aber Lew ging

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