Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
Vom Netzwerk:
Morgenmantel und ein
Pariser Negligé. Dachte an den Colonel, und wie er auf den Jungen reagieren
würde, einen deutschen Jungen mit schmutzigen Händen und einem Gesicht wie eine
Backpflaume. Sie stellte es sich vor und ging in die Hocke. In der einen Hand
hielt sie immer noch den Leuchter, an der anderen tickte die edelsteinbesetzte
Uhr.
    »Hör mir
zu«, flüsterte sie. »Ich komme in zwei Stunden. Nicht früher, und wenn ich
vorher noch etwas von dir höre oder auch nur deinen Schatten sehe, komme ich
nicht. Hast du das verstanden?«
    Er atmete stoßweise, vor
Erleichterung, wie sie dachte. »Ich habe gefragt, ob du verstanden hast, was
ich gerade gesagt habe.«
    »Ja,
Fräulein«, antwortete er, und es klang merkwürdig von seinen Lippen, die derlei
Worte nicht gewohnt zu sein schienen.
    Sie
wartete eine Minute, dann öffnete sie die Tür. Von dem Jungen war nichts mehr
zu sehen. Auch an den benachbarten Wohnungstüren rührte sich nichts. Sie wusste
nicht einmal genau, ob sie überhaupt Nachbarn hatte. Schnell schloss sie die
Tür wieder und beseitigte alle Spuren ihrer Auseinandersetzung in Flur und
Wohnzimmer. Die Wohnung war so staubig, dass ihre schönen Ärmel und Unterröcke
dabei schmutzig wurden. Sie hoffte, es würde dem Colonel im Kerzenlicht nicht
auffallen. Endlich setzte sie sich zurück an den Flügel und spielte Beethovens
Klaviersonate Nr. 17. Sie spielte sie sanft, den Kopf zur Seite geneigt, und
wartete auf das Geräusch, mit dem der Colonel seinen Schlüssel in die Tür
steckte.
     
    Er hatte allen Grund, argwöhnisch
zu sein. Was die Frau und auch was sein Herz anging. Die Hoffnung, so hatte er
gelernt, war ein Feind. Er wusste von der Frau nur, dass sie reich war. Das
hatten ihm die Klaviertöne gesagt, die durch die Decke zu hören gewesen waren.
Immer noch verwirrt von den Gebeten, die ihm die Not abgerungen hatte, war er
aufgesprungen, war nach oben gerannt und hatte ihre Tür offen vorgefunden. Der
Flur dahinter war voller Staub. Die Fußspuren im Staub und der kalte Tanz der
Noten hatten ihn weitergeleitet. In ihrem pelzbesetzten Mantel hatte Anders sie
gefunden, auf einem Lederhocker vor dem Flügel, dessen Beine anmutig wie
Frauenschenkel waren. Er hatte die stumme Standuhr gesehen, ihr Zifferblatt und
das Pendel, das schon lange nicht mehr hin- und herschwang. Den Volksempfänger,
die Vitrine mit den geschliffenen Gläsern und dem Porzellan. Den Teppich mit
den orientalischen Reitern, die ihre Pfeile auf Wildschweine und Löwen
abschossen, und die Ledersessel, die darauf standen, spreizfüßig und schwer.
Aber vor allem war ihm der Staub aufgefallen, der Geruch des Unbenutzten, und
darin ein süßer, moschusartiger Duft, der von der Haut der Frau ausging.
    Sie hatte
ihn angeschrien und aufgefordert zu reden. Es ging aber nicht, in seiner Kehle
steckte ein Kloß. Dennoch war er sicher, dass sie ihm helfen konnte und musste.
Als sie ihn wegschickte, lief er nur bis zur Treppe. Dort hockte er sich hin,
die Zähne in die Lippen gegraben, und ging wütend mit sich ins Gericht.
    Vertraue ihr nicht, sagte er
sich. Vertraue ihr bloß nicht. Wahrscheinlich
kommt sie nicht.
    Wenn sie nicht kommt, schwor er sich, geh ich wieder hin und bringe sie um.
    Dann lief
er nach unten, sah nach Pavel und nahm den Eispickel, damit er etwas hatte,
womit er sie umbringen konnte.
     
    Sie bekam
Besuch. Anders hörte ihn die Treppe hinaufsteigen, langsam, bedächtig, und
floh in Pavels Wohnung, bis er den Besucher ihre Tür aufschließen hörte. Er
schlich sich nach oben und legte das Ohr ans Holz der Tür. Die beiden sprachen
Englisch, wenn auch ein anderes Englisch als das von Pavel. Anders hörte, wie
der Mann den Ofen anfeuerte und Kaffee kochte, richtigen Kaffee, er konnte ihn
bis hinaus in das Treppenhaus riechen. Dann die Geräusche, wie er sie
benutzte, so wie es Männer eben taten. Anders lauschte ihnen mit rotem Gesicht,
ohne sich ein Bild machen zu können. Natürlich wusste er, was Sex war, aber den
genauen Ablauf kannte er nicht. Er hörte Grunzen und das rhythmische Klatschen
von Fleisch auf Fleisch. Es dauerte nur ein paar Minuten.
    »Gute
Nacht«, sagte der Fremde, »morgen bringe ich dir eine Überraschung mit.«
    Seine
Stimme klang angenehm und großmütig. Die Frau sagte nichts, und Anders eilte
eine halbe Treppe hinauf und kauerte sich in den toten Winkel der Stufen. Als
er sicher war, dass er den Mann nach unten gehen hörte, wagte er einen Blick
ins Halbdunkel des Treppenhauses.

Weitere Kostenlose Bücher