Vyleta, Dan
Stoffserviette ab. Er nahm sich Zeit
dafür und ließ ihn warten.
»Wir gehen
davon aus, dass es die Russen waren. Wir können es natürlich nicht beweisen,
aber es ist genau ihre Handschrift. Sie wissen vom NKWD?«
»Der
sowjetischen Geheimpolizei?«
»Ja.
Normalerweise stecken die hinter solchen Dingen. Es heißt, dass Mr White einen
ihrer Agenten getötet hat und dafür büßen musste. Auch dafür haben wir keine
stichfesten Beweise.
Nicht einmal die Leiche des
Agenten. Auch was Mr Whites mögliches Motiv für den Mord betrifft, gibt es
keine Anhaltspunkte. Wir wussten ja nicht einmal, dass er überhaupt mit dem
NKWD zu tun hatte, und die Amerikaner versichern uns, dass sie genauso im
Dunkeln tappen wie wir. Tatsache ist nur, dass Mr Whites Leiche in unserem
Sektor gefunden wurde, was bedeutet, dass sie unser Problem ist. Mein Problem, Pavel. Wenn es also etwas gibt, womit Sie uns
helfen können, wäre ich Ihnen für ein offenes Wort äußerst dankbar. Ich persönlich wäre Ihnen äußerst dankbar, Pavel. Wirklich äußerst
dankbar.«
Er lehnte
sich zurück und nahm einen Schluck Bier. Als er es zurück auf den Tisch
stellte, schlugen seine Ringe klirrend gegen das Glas. Das silberne Messer
ragte anmutig aus seiner halb geschlossenen linken Faust. Pavel nickte müde und
schnitt ein Stück von seiner zweiten Schinkenscheibe.
Es gab
nicht den geringsten Grund, warum er dem Colonel nicht seinen Wohnungsschlüssel
geben und ihm von dem Zwerg erzählen sollte. Die Dinge den Behörden übergeben.
Er zweifelte nicht daran, dass Fosko die Geste zu schätzen wissen und keinerlei
Untersuchung anstrengen würde, warum er, Pavel, die Leiche volle vier Nächte
bei sich versteckt gehalten hatte. Natürlich bestand kaum eine Chance, dass
Boyds Mörder zur Rechenschaft gezogen werden würde, nicht wenn es sich um einen
russischen Agenten handelte, aber wenigstens wäre er, Pavel, damit aus der
Sache heraus und könnte zu seinem ruhigen Leben zurückkehren und sich wieder
ganz seinen Büchern und dem Jungen widmen. Er würde das Geld für einen
Grabstein und einen Platz auf dem katholischen Friedhof auftreiben. Ein
Priester würde ein paar letzte Worte sprechen und damit alles zu einem
Abschluss bringen. Huren in Abendkleidern würden Boyd ihre letzte Ehre
erweisen, und Pavel würde Boyds Mutter, die er nie kennen gelernt hatte, einen
Brief schreiben.
Er
beschloss zu reden, schnitt sich aber erst noch ein Stück Fleisch ab, saß da
und kaute bewusst langsam. Der fette Mann hatte etwas an sich, das Pavel zögern
ließ. Es war fast so, als missgönnte er ihm seine elend gute Gesundheit. Wie
ein bockiger Junge, der Scham für sein Verhalten verspürte, suchte er nach
Gründen, warum er sein Geheimnis für sich behalten sollte. Sein Blick fiel auf
die Frau. Mit durchgedrücktem Rücken saß sie da, hielt die Fleischgabel in der
Hand und vermied es, ihn anzusehen. Er betrachtete ihre Blässe, ihre
Wangenknochen, die hohe Stirn, den dünnen Haarflaum auf der Oberlippe. Ihr Gesicht
war ausdruckslos. Es war dumm, von ihr irgendwelche Hilfe zu erwarten.
»Bereiten
Ihnen Ihre Nieren Schwierigkeiten, Mr Richter?«, fragte sie sachlich.
»Ja«,
antwortete er, obwohl er sie doch beim ersten Bissen schon vergessen hatte.
»Ich glaube, ich muss mich hinlegen.«
»Brauchen
Sie Hilfe?«
»Nein,
danke. Vielen Dank.«
Die Worte
klangen ihm falsch in den Ohren, so als spielte er eine lang geprobte Szene.
Pavel stand auf und ging demonstrativ steif hinüber zur Tür.
»Halten
Sie mich auf dem Laufenden«, sagte er zu Fosko, mit dem immer noch gleichen
Gefühl, eine Rolle in einer Farce zu spielen. Der fette Mann öffnete die
fleischigen Lippen zu einem Lächeln.
»Das werde
ich, Pavel. Ich versichere Ihnen, das werde ich.«
Pavel
deutete eine steife Verbeugung an und schloss die Tür hinter sich. Ein Gefühl
der Erleichterung ergriff ihn.
Morgen, sagte er sich. Ich kann es ihm
auch morgen noch sagen. Das ändert nichts.
Anders fand seine Bande in
Paulchens Unterschlupf. Sie saßen im Kreis und aßen zu Mittag, aufgewärmte
Kohlsuppe und geräucherten Fisch. Wortlos schloss Anders sich ihnen an und
zwängte sich zwischen die Karlson-Zwillinge auf das Sofa. Der Fisch schimmerte
grünlich und schmeckte bitter, Anders aß ihn dennoch. Hinterher holte Paulchen
als besonderen Leckerbissen eine Dose gezuckerte Pfirsiche hervor. Er verteilte
sie persönlich, und Anders fiel auf, dass er Schlo' eine extragroße Portion
gab. Schlo' sah aus, als
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