Vyleta, Dan
Anders' Unentschlossenheit.
Voller Wut
trat er auf dem Weg nach draußen die Tür auf. Sie würde nicht zuknallen, es war
eine Schwingtür, aber zumindest konnte er ihr einen Tritt versetzen. Es dauerte
eine Ewigkeit, bis der Aufzug kam, eine Treppe war nirgends zu entdecken. Auf
dem Weg nach oben lief er im Käfig auf und ab, und dann rannte er hinaus und
über den Hof. Am Tor wollten die Wachen wissen, warum er so blass sei und woher
die Nässe komme, die sich auch auf seinen Wangen gesammelt hatte, und bevor er
außer Sicht gelangte, drehte er sich noch einmal um und ließ den Arm um etwas
mehr als einen rechten Winkel hochfahren, den Ellbogen gestreckt und das Kinn
in den Wind gereckt.
»Heil
Hitler!«, schrie er zu ihnen zurück.
Sie
lachten nur und sahen zu, wie er davonrannte.
Anders
hatte es nicht weit. Er suchte Paulchen und die Jungs. Er wollte sie einiges
fragen, was die so übel zugerichtete Leiche und den fetten Mann betraf. Pavel,
das schwor er, würde es noch leidtun, in den Nerz geheult zu haben.
Sonja ging allein nach Hause. Sie
wusste, dass sie dort keinen Frieden finden würde. Der Colonel würde bald
kommen. Er war mit Pavel noch längst nicht fertig und würde die Früchte seiner
morgendlichen Ernte einfahren wollen. Würde auch sein Vergnügen haben wollen,
einen Mittagsfick und danach eine Zigarette, während der er sich
geistesabwesend mit dem Daumen über die manikürten Nägel fahren würde. Sie
erkannte sich selbst darin wieder, in seiner kalten Unbarmherzigkeit, seiner
Liebe zur Behaglichkeit. Trotzdem, wenn sie schnell genug ging, würde sie
vielleicht ein paar Minuten für sich allein gewinnen, ein paar Minuten am
Flügel. Beethoven wollte sie spielen, eine seiner späten Sonaten. Sie
versuchte, sich auf Beethoven zu konzentrieren, versuchte, ihren Kopf mit
seinen brütenden Rhythmen zu füllen. Aber die Musik wollte nicht kommen. Boyd
White stand ihr im Weg: seine klobige Gestalt und das von erfahrenen Fäusten
zerschlagene Gesicht. Boyd hatte keine Zeit für Beethoven, keinerlei Kenntnis
über ihn gehabt. Er hatte Glenn Miller gemocht und die amerikanischen Schnulzensängerinnen,
dazu Goodman, Basie und manchmal etwas Chopin, wenn er kultiviert klingen
wollte. Chopin, hatte er
ihr einmal erklärt, als weihte er sie in ein großes Geheimnis ein, Chopin war Pole. Klang wie ein Franzose, war aber tatsächlich Pole. Sonja
hatte gelächelt, große Augen gemacht und überrascht getan. »Pole, wie?«
»Ja. Etwas
Champagner, Schätzchen? Ja, so gefällst du mir.«
Sein
Leichnam, er beschäftigte sie. Sonja hatte gewusst, dass Boyd getötet werden
würde, und es hatte sie nicht gestört. Und natürlich war er gefoltert worden.
Auch das hatte sie gewusst, hatte es sich sogar noch einmal ausdrücklich
klargemacht, damit sich ja keine Lüge bei ihr einschlich. Dennoch, der Anblick
der Leiche hatte sie erschüttert. Die zertrümmerten Beine, die verstümmelten
Finger, deren Spitzen fast schwarz gewesen waren. Sie versuchte, bis zur
Wurzel ihres Unbehagens vorzudringen. Es hatte mit der Gewalttätigkeit zu tun,
der Fähigkeit, einem Menschen solche Schmerzen zuzufügen. Es verlangte eine
besondere Art von Mut, so etwas zu tun, seine Ohren vor den Schmerzen des
anderen zu verschließen und ihm mit einem Gummischlauch und einer Zange
zuzusetzen. Mut und Erfahrung. Sie fürchtete, beides nicht zu haben, und das
kam ihr vor wie Schwäche.
Sonja
stieg die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf, schloss auf und hinter sich wieder
ab, genoss den Klang der ins Schloss fallenden Tür. Dann: ein greller Schrei,
unmenschlich hoch. Ihr Körper geriet in Panik, Magen, Gedärm und Rektum rollten
sich ein wie ein Igel. Sie hatte den Affen völlig vergessen, der da an seinem
Halsband und der Leine riss. Seine Augen wölbten sich vor, die schwarzen Lippen
klafften auf und ließen die Zähne sehen. Er hatte den Teppich verdreckt und
seinen Kot quer durch das Zimmer gegen das Fenster geworfen, wo er hängen
geblieben und in der Kälte eingetrocknet war. Schwarze Inseln aus Affenscheiße,
die wie Furunkel aus dem Glas wuchsen.
Sonja
stand an der Tür und entspannte ihre Innereien, überlegte, wie seltsam es doch
war, dass einem die Angst so schamlos in die Eingeweide schoss, dachte, dass
der Colonel ihr den Affen aus genau diesem Grund gebracht hatte: um sie in
einem gänzlich unerwarteten Moment, wenn sie sich sicher wähnte und ihn weit
weg, zu Tode zu erschrecken.
Sie
brauchte lange, um den Kot von der
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