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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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küsste ihn. Sie hatte den Ausdruck nie
verstanden: Der Himmel tat sich auf ... Nun, vielleicht tat er sich ja auf.
Auch ihr Magen hob sich, und einen Moment lang dachte sie, nicht ohne
Vergnügen, dass sie ihm hier und jetzt womöglich auf den Kragen speien würde.
Sie lachte gekünstelt, hielt seine Ellbogen gefasst, zitterte. Er sah ihr
tatenlos zu und ließ alles mit sich geschehen. Sein Mund zuckte.
    »Trotzdem
müssen wir reden«, sagte er. »Über Boyd.«
    Sie konnte
sehen, wie es ihn schmerzte, Boyds Namen auszusprechen, besonders jetzt, da
seine Hände auf ihren Hüften lagen. Er klammerte sich an einen Strohhalm. »Du
führst kein Tagebuch, oder?«
    Darüber
musste sie lachen, tief aus der Kehle.
    »Wozu
denn?«, fragte sie. »Warum sollte man Beweise gegen sich sammeln?«
    Er hörte
ihre Worte, legte die Stirn in Falten und bettete den Kopf auf ihre Schulter.
So standen sie da, während der Kaffee in ihren Tassen kalt wurde.
    Vielleicht
hätte es sie nicht so sehr überraschen sollen, als sie seine Erektion an ihrer
Hüfte spürte. Schließlich war er ein Mann. Plötzlich spürte sie das Gewicht
seines Körpers, spürte, wie sich seine Hände auf ihr versteiften. Pavel hob den
Kopf, als wollte er sie noch einmal küssen: eine andere Art Kuss. In seinen
Augen lag das, was man Verzückung nennt, eine Spielart der Gier. Sonja wandte
das Gesicht ab.
    »Ich war
noch nie aus Lust mit einem Mann im Bett«, sagte sie steif.
    Nachdenklich sah er sie an. Sie
studierte seinen Blick, ob vielleicht Mitleid darin zu entdecken war. Aber
nein. Es war wirklich schade. Mitleid hätte sie vielleicht geheilt. »Das ist
nur der Krieg«, sagte er.
    Sonja sah
ihn immer noch an, und ihre Lippen formten dieses Wort »nur«.
    Er zuckte mit den Achseln und
lächelte, so als wollte er sich für einen Witz entschuldigen, einen
geschmacklosen, komischen Witz. Oh, sie mochte diesen Pavel.
    »Ich muss
jetzt gehen«, sagte er. »Ich habe versprochen, jemanden zu treffen.«
    Seine
Hände ließen ihren Körper los, er trat zurück und steckte sie in die Taschen,
um seine Erektion zu verbergen.
    »Komm
später wieder. Wir könnten ...«
    Sie brach
ab. Es war nicht abzusehen, was sie tun könnten und was nicht.
    Dann
endlich verließ er sie, immer noch lächelnd, das Haar hochstehend, wo sie es
berührt hatte, wo sie an ihm gezogen, gerissen hatte. Er verließ sie mit
steifen Beinen, sein Schritt noch gelähmt von seinem Verlangen.
     
    Pavel verließ das Haus. Vor der
Tür blieb er stehen, um sich den Schal fester um den Hals zu ziehen und seine
Mütze aufzusetzen. Das Futter seines Mantels war entlang der Säume aufgetrennt,
und die verrutschten Schichten ließen den Mantel merkwürdig auf seiner
schmalen Gestalt hängen. Eine Vogelscheuche, verstehen Sie, die über Berlins
vereiste Straßen stolperte. Er hätte sich hin und wieder einmal umdrehen
sollen, dann hätte er an einem Dutzend Orte, an denen das Terrain keine
Möglichkeit der Deckung bot, einen Verfolger gesehen, der ihm hart auf den
Fersen war. Eine respektable Person in einem Dufflecoat, mittelalt, gedrungen
und einäugig. Mit einer Augenklappe, den Wollschal bis über die Backen
gezogen, mit einem Wort: meine Wenigkeit. Um ehrlich zu sein, machte ich mir
mit der Verfolgung keine allzu große Mühe. Es war bereits dunkel und
bitterkalt, so kalt, dass man dachte, der Augapfel würde einem einfrieren. Die
Zigarette, die ich rauchte, glühte am einen Ende und war am anderen eiskalt.
Das war nicht das Wetter für ein sorgfältiges Anpirschen. Ich war froh, einfach
nur in Bewegung zu bleiben. Eine Sache überraschte mich, als ich Pavel über die
düsteren Straßen Charlottenburgs folgte. Ich hatte fest damit gerechnet, dass
uns mein Beschattungskollege folgen würde. Es war immer noch derselbe Mann,
ohne Zweifel halb erfroren und völlig erschöpft, der mich durch die
Windschutzscheibe seines Autos anstarrte, als ich das Haus verließ. Fast hätte
ich ihn dazu aufgefordert, uns auf unserem spätnachmittäglichen Streifzug zu
begleiten, aber natürlich widerstand ich dem Impuls. Die Kälte musste sich in
sein Gehirn gefressen haben, es war unmöglich, dass er nach achtzehn Stunden im
Wagen noch geradeaus zu denken vermochte, mit schmerzenden Gliedern und nichts
als einer Flasche Schnaps zur Gesellschaft. Trotzdem machte mich seine Passivität
nachdenklich. Wenn er uns jetzt nicht folgte, auf wen zum Teufel wartete er
dann all die endlosen Stunden so geduldig? Und auf wessen Befehl?

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