Vyleta, Dan
der
gleichen ruhigen Entschlossenheit, mit der er den Totschläger gegriffen hatte,
legte Anders ihn zurück auf die Kommode und zog die Luger aus ihrem Versteck.
Er hielt sie vor sich hin und wunderte sich nicht über ihr Gewicht. Sie passte
in seine Manteltasche, zusammen mit einer Schrippe und etwas Käse aus der
Küche. Dann verließ er die Wohnung und hoffte inständig, dass sich Schlo' an
seine Anweisungen halten würde, wenn der Aufruhr wegen des Diebstahls vorüber
wäre. Auf der Straße angekommen, überprüfte er, ob die Luger geladen war. Er
entsicherte und sicherte die Waffe, so wie er es bei Paulchen gesehen hatte,
schnupperte am Lauf und roch den Pulvergeruch, der daran hing. Er verspürte
Bedauern darüber, dass er die Pistole nie würde ersetzen können, um so mit dem
Jungen, den er eben bewusstlos geschlagen hatte, alles wieder in Ordnung zu
bringen. Er war ziemlich sicher, dass Paulchen die Waffe nicht wieder
zurückwollte, wenn sie erst eine Kugel daraus in Foskos Fettwanst gefunden
hätten.
Pavel stand auf und lief im Zimmer
auf und ab. Setzte sich an die Schreibmaschine und spielte mit der Idee, seine
Fragen zu Papier zu bringen. Steiffingrige Tippübungen, bis das Farbband nichts
mehr hergab. Alle paar Minuten ging er zur Tür, griff nach der Klinke und
bereitete sich darauf vor, hinaus und nach oben zu stürmen. Klaviertöne drangen
durch die Decke, dann das Klingeln des Telefons, dann Stille. Er wünschte, sie
würde wieder anfangen zu spielen, aber vielleicht war sie auch mit dem
Mittagessen beschäftigt.
Sein Bett
hieß ihn willkommen. Er stellte sich vor, dass seine Nieren wieder schwer
geworden waren, legte sich untätig auf den Bauch und wäre gerne zurück in die
Benommenheit seiner Krankheit eingetaucht. Hinter ihm rauchte und knisterte
der Ofen ohne große Wirkung. Pavel stand auf, um sich etwas zu essen zu
machen, musste aber feststellen, dass er nicht mehr viel hatte. Er trank Tee,
den er auf russische Art aus einem verbeulten alten Samowar zapfte, und
blätterte durch Bücher, die ihm Sätze anboten, in die er seine Verwirrung
kleiden konnte. Der Junge kam nicht zurück, und je mehr er sich nach ihm
sehnte, desto größer wurde auch sein Zorn auf ihn, bis er beschloss, ihn
irgendwie zu bestrafen, vielleicht durch sein Schweigen. Er würde Anders
sowieso nicht von Belle erzählen können. Anders würde sie zur Lügnerin erklären,
nach oben laufen und ihr ins Gesicht spucken. In seiner Einsamkeit überlegte
Pavel sogar, ob er hinauf auf den Dachboden steigen, den Zwerg einer weiteren
Durchsuchung unterziehen und in seinen gefrorenen Augen nach Antworten suchen
sollte. Aber er dachte an Sonjas Warnung, dass man ihn beobachtete, erinnerte
sich an den Schatten im Treppenhaus und blieb, wo er war. Wartete auf eine
Krise, die aus Boyds Tod die Wahrheit herausschütteln würde, ohne eine Auseinandersetzung
notwendig zu machen. Er wollte nicht hören, wie sie die Worte formte, ohne
Gefühl oder Scham, während der Rasierer des Colonels wohlig auf ihrem
Waschbecken lag.
Endlich
ein Klopfen an der Tür, atemlos, das ein Kind von vielleicht elf Jahren
ankündigte. Abschätzend sah es ihn von oben bis unten an. Pavel hatte den
Jungen bereits einmal getroffen, was ihn ein paar Teetassen gekostet und vor
den Lauf einer Pistole gebracht hatte. Er bat ihn hereinzukommen und sah zu,
wie der kleine Kerl seinen Hintern an den Ofen hielt, bis ihm der Dampf aus
Kragen und Schultern stieg und die Haare kräuselte, die ihm unter der
abgewetzten Schaffellmütze hervorlugten. Der Junge starrte die Bücher an,
zählte sie stumm und spreizte mit jedem weiteren Zehner einen zusätzlichen
Finger ab.
»Ich habe
deinen Namen vergessen«, sagte Pavel, als sein Besucher keine Finger mehr zum
Weiterzählen hatte.
»Ich heiße
Schlo'.«
»Das ist
kurz für Salomon, richtig?«
Der Junge
zuckte mit den Achseln. »Wie kommt es, dass Sie so gut Deutsch können?«
»Mein
Vater war Deutscher. Ein deutscher Jude. Er zog nach Amerika, bevor ich geboren
wurde.«
Schlo'
nickte, als sei die Sache damit geklärt. Als er seine Handschuhe auszog und
die Ärmel aufrollte, um die Hände gegen den Ofen zu drücken, erhaschte Pavel
einen Blick auf seine Tätowierung.
»Sind
deine Eltern tot?«, fragte er sanft.
Der Junge
stand da und zog die Nase kraus. Pavel konnte nicht sagen, ob er es nicht
wusste oder nicht sagen wollte. Er bot ihm einen Tee an.
Sie saßen
am Tisch und tranken. Der Junge stürzte seinen Tee
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