Vyleta, Dan
das würdest du.«
Er stand
auf, tätschelte ihr die Wange und holte ein Messer, um dem Affen einen Apfel zu
schälen und ihn scheibchenweise damit zu füttern. Sonja sah ihm dabei zu und
sammelte die Schalen vom Boden, als er fertig war.
Danach
saßen sie schweigend da, Fosko trank noch mehr Cognac und Sonja hielt ein Buch
auf dem Schoß und tat so, als läse sie. Eine Stunde quälte sich dahin, dann
eine weitere. In ihr wuchs der Wunsch, dass etwas geschah, und bald schon
sehnte sie sich mit ganzem Herzen danach. Dann: ein Klopfen an der Tür, ein
vertrauter Rhythmus, und sofort tadelte sie sich für ihren dummen Wunsch.
Fosko stand ohne ein Geräusch auf und verschwand im Schlafzimmer. Auf dem Weg
dorthin nahm er den Affen und setzte ihn sich in die Armbeuge.
»Sonja,
mein Schatz«, flüsterte er. »Mir scheint, du bekommst Besuch. Ich denke, du
machst besser auf.«
Sie senkte
den Kopf und tat, wie ihr geheißen.
Paulchen brauchte ewig, wenn Pavel
die zentralen Punkte seiner Geschichte auch an den Fingern einer Hand hätte
abzählen können. Söldmann verschwand langsam im Hintergrund, das Leben des
Zwergs diente Paulchen nur mehr als Entschuldigung dafür, von sich selbst zu
erzählen, von sich und seinen Eltern. Paulchens Mutter hatte sich schon früh
den Nazis angeschlossen, seinem Vater widerstrebten sie eher, er war ein
Patriot, reagierte aber unerklärlich bitter, als der Marschbefehl nach Osten
kam, um Bolschewisten zu töten. »An dem Abend stritten sie so sehr, dass ich
dachte, er würde sie totschlagen«, sagte Paulchen. »Sie nannte ihn ein
dreckiges, nichtsnutziges Judenschwein.« Er sah streng in die Runde, um seiner
Truppe klarzumachen, dass der Vorwurf jeder Grundlage entbehrte.
Pavel
hörte Paulchen mit großer Aufmerksamkeit zu, lauschte den Wiederholungen und
Randbemerkungen und genoss das Vokabular des Jungen, das sich mühte, wacker mit
dem Leben Schritt zu halten. Hin und wieder zwitscherten die anderen Jungen
dazwischen und boten Schnipsel ihrer eigenen Geschichten. Was sie mehr als
alles verband, waren die Erzählungen vom Tod, die ausnahmslos mit einstudierter
Gleichgültigkeit vorgetragen wurden. Die Karlsons zum Beispiel hatten ihren
Vater in Stalingrad verloren und ihre Mutter an eine deutsche Granate, die am
vorletzten Tag der Schlacht um Berlin unachtsam ins falsche Wohnungsfenster
geworfen worden war. Sie habe nur eine leichte Bauchverletzung erlitten, sagten
sie, sei aber aus dem Krankenhaus nicht mehr zurückgekommen. »Wahrscheinlich
verblutet«, stellte einer der Brüder sachlich fest. »Zu dem Zeitpunkt sind
ihnen die Blutreserven ausgegangen.«
Als
Nächstes erzählte ein Junge namens Woland, dass er eine Gruppe Schuljungen
gesehen habe, die sich gegenseitig auf die Schultern gestiegen seien, um die
Füße eines aufgehängten Deserteurs zu berühren und ihn im Kreis zu drehen. Am
helllichten Tag war der Mann aufgehängt worden, mit einem Pappschild um den
Hals, auf dem sein Vergehen stand. Ein Blick ins aschfahle Gesicht des Toten -
Woland war auch auf ein paar Schultern geklettert -, und es stellte sich
heraus, dass es der Onkel des Jungen war, bei dem er zu der Zeit wohnte. »Er
war kein Deserteur nicht«, betonte er schmollend und wiederholte den Satz
zwei-, dreimal, bis Pavel sagte: »Es muss eine Verwechslung gewesen sein.« Der
Junge stimmte ihm zu, und sein Freund Hansi meinte, vielleicht hätten ihn ja
auch die Russen aufgehängt, um die öffentliche Moral zu untergraben. Erst
jetzt konnte Paulchen mit seiner Geschichte fortfahren, die darauf hinauslief,
dass Söldmann ein professioneller Verbrecher gewesen sei, schon vor dem
Frieden, und dass er zuletzt vornehmlich mit Informationen gehandelt habe, daneben
aber auch mit Drogen und Waffen. Als Pavel nach Söldmanns Unterschlupf fragte,
gab ihm Paulchen eine Adresse, die nur wenige Straßen von Boyds Bordell
entfernt lag.
»Mehr habe
ich nicht«, sagte Paulchen. »Wir haben noch nie irgendwelche Geschäfte mit
Söldmann gemacht.«
»Warum
nicht?«
»Er sagt,
er arbeitet nicht mit kleinen Jungs.«
Den Satz
sagte er mit grimmiger Miene. Die Jungen reagierten mit einem scharfen
Zischen, und Pavel versicherte ihnen schnell, dass er kein solcher Narr sei.
Kurz
darauf verließ er sie und wiederholte noch einmal sein Versprechen, Geld zu
bringen. Draußen war die Kälte noch beißender geworden, und er eilte ohne
einen Blick zurück davon. Seine Gedanken waren bei Sonja, bei der Erinnerung an
ihren Kuss. Er
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