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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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das Verschwinden ihres kleinwüchsigen
Anführers, erregt die Regeln seiner Nachfolge. Sie sollten uns nicht über
Gebühr beschäftigen, spielen sie in diesem Spiel von Kaufen und Verkaufen doch
keine Rolle mehr. Die ist an ihre Besatzer übergegangen, auch wenn Amerikaner
und Franzosen diesbezüglich noch in seligem Unwissen leben. Ähnlich unwissend,
aber doch geplagt von nächtlichen Vorahnungen, wie sie finsterer nicht sein
könnten, ist ein alter Mann in Alt-Moabit, dem Haare auf der Nase wachsen und
der Koteletten hat wie einst Charles Darwin. Der Alte hat seine Weihnachtswurst
gegessen, mit seinen Gastgebern, die er seine »Familie« nennt und aufs Tiefste
verabscheut. Hinterher haben sie ein Lied gesungen, ein Glas Pflaumenschnaps
getrunken und eine Dose amerikanischen Orangensaft geteilt. Jetzt ist er
zurück in seinem Kämmerchen, liest, denkt und grübelt über das Leben nach. Dort
werden wir ihn finden, noch bevor diese Geschichte zu Ende geht. Was mich
betrifft, so war ich an diesem Abend müde und, schlimmer noch, vom Leben
erschöpft. Ich verschwand in den Federn, kurz nachdem Pavel eingeschlafen war.
    Trotz
aller Erschöpfung regte sich in der Tiefe meines Herzens die Hoffnung auf ein
zukünftiges Glück. Es wurde langsam Zeit, dass Pavel und ich uns
zusammensetzten und redeten. Wenn es ans Verhören ging, war ich der getreueste
Helfer des Colonels.
     
    Zweiter Teil
     
    Pavel & ich
     
    P avel
schlief und dachte, er müsse träumen. Die Wange nass auf dem Betonboden. Da
stand ein Mann über ihm, trug einen Wintermantel und einen Ranzen. Ein Mann
mit einer Augenklappe, der nach Kaffee roch. Der Mann streckte eine Hand durch
das Gitter hinunter, berührte ihn jedoch nicht. Pavel schlief und dachte: Coppelius. Odysseus, dachte er, in der Höhle des Zyklopen. Odin, Zizka, Ödipus, Mutters
spitze Brosche in der Hand. Im Land der Blinden ist der Einäugige König.
    Pavel
schlief und spürte, da war Salz auf seiner Wange. Das Salz von Schweiß, nicht
das von Blut, nicht das von Tränen: Es ließ seine Haut kribbeln, genau wie die
Hitze. Es war heiß im Land der Blinden. Die Sonne ging über Theben unter,
tauchte die Welt in Rot.
    Pavel schlief und dachte, dass die
Luft brannte. Das sagte ihm, dass es nichts als ein Traum war.
     
    Er erwachte, und ich war da,
hockte neben den Gitterstäben seines Käfigs, ein Päckchen Zigaretten zu Pavel
hin geöffnet. Er schreckte hoch und rollte auf die Knie. Schweiß auf der Stirn
und Prellungen am ganzen Körper. Man sah es an der Art, wie er sich bewegte.
Sein Hemd war auf Brust und Rücken durch nässt, die Hose klebte ihm an den
Schenkeln. Ich beobachtete, wie er sich umsah und zu orientieren versuchte, der
Atem unsichtbar, und das im Winter '46. Einen Moment lang mag er gedacht
haben, er hätte den Verstand verloren, bis er sich an den abendlichen Abstieg
hinunter in das Wunder von Foskos Keller erinnerte. Die Hitze stammte von einem
riesigen gusseisernen Koloss, der direkt hinter Pavels Käfig stand. Tief auf
vier gedrungenen Beinen stand er, mit Ventilen und Hebeln wie eine Maschine
aus einem Buch von Jules Verne. Vor dem Käfig ein einfacher hölzerner Tisch,
zwei Stühle, ein leerer Wasserkrug und ich, sein Wärter, der in der Hocke auf
ihn wartete. Es roch nach Trockenfäule, nach Erde und heißem Mauerwerk, den
Kupfertönen alten Bluts.
    »Rauchen
Sie eine«, sagte ich.
    Seine Hand
zitterte kaum, als er nach seiner ersten Zigarette griff. Ich steckte mir auch
eine an und sah zu, wie seine Augen den Raum erfassten, die Werkbank mit den
Handfesseln, die Werkzeugschränke mit den Lederriemen, den Eisenstangen und den
Gartengeräten, den Ölfässern, die in einer Ecke aufgestapelt waren. Auch er
sah mich an, ohne Mantel jetzt, die oberen zwei Kragenknöpfe geöffnet,
allerdings schien ihm das beruhigende Lächeln nicht aufzufallen, das meine
Lippen umspielte. Die Zigarette zwischen die Finger gedrückt, die Asche
überall auf ihm, seine Züge schnell und flach, ohne den Rauch zu schmecken.
    Oh, ich
weiß, was ihn so aufgeregt sein ließ. Er suchte Antwort auf eine Frage. Wann zum Teufel fängt der Kerl endlich an?
    Er drückte
die Zigarette auf dem Boden aus, strich sich über das Gesicht, und sein Blick
wanderte zurück zu meiner Hand und dem hingehaltenen Päckchen. Ich blieb, wo
ich war, beobachtete ihn, ergründete seine Seele.
    »Los doch, nehmen Sie sich noch
eine.« Er tat es, nahm eine zweite und eine dritte, die Augen feucht, fragend.
    Ich hätte
gern

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