Vyleta, Dan
armen Gören). Bei Paulchen sitzt eine weitere Sorte Kinder,
einige mit blauen Flecken und Blutergüssen versehen, sie alle in ihrem Stolz
verletzt. Bis spät bleiben sie auf, bemitleiden sich und sind bereits dabei,
die Ereignisse in Geschichten zu verwandeln, nach Art des Altertums. Für diese
Jungen ist das Leben ein Epos. Ihr Häuptling wohnt den Erzählungen im Moment
jedoch nicht bei. Er sitzt auf einem wackligen Stuhl, allein und dem kalten Zug
eines langen Krankenhauskorridors ausgesetzt, den Arm gebrochen und die Zähne
eingeschlagen, aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Er verflucht
Pavel, die Engländer, und natürlich Anders, diese kleine Ratte. Letzterer
liegt kaum einen Kilometer entfernt in einen russischen Schlafsack gehüllt und
macht sich Vorwürfe, weil er sein Vorhaben nicht erfüllt hat, denkt, dass er
versagt hat als Mann, und ist voller Groll auf sich und den Gottvater, dessen
Sprache das Lateinische ist und für den ein Choral gesungen wurde. Aber bald
schon wird es zu kalt für seine Wut, und er läuft nach drinnen, läuft hinauf
in Pavels leere Wohnung mit dem von meinen Stiefeln verdreckten Bett. Da
schläft er schließlich ein, erschöpft, nachdem er ausgiebig und blass die leere
Schlinge angestarrt hat, die vor dem Fenster hin und her baumelt und langsam
steif friert. Direkt über ihm (ohne dass er einen Gedanken für sie übrig
hätte) liegt Sonja, allein, und schläft einen traumlosen Schlaf, während der
Affe, dieses Bündel ununterdrückbarer Vitalität, über ihrem Kissen sitzt und
ihr in einer bizarren Umkehrung von Herrin und Tier das Haar streichelt, bevor
er sich trollt, neugierig am gefrorenen Urin ihres Nachttopfs riecht und eine
ledrige Pfote in ihn bohrt. Sein Besitzer, der Colonel, fährt in seinem Auto
gen Westen. Sein Ziel ist das, was er der Konvention nach sein Zuhause nennt. In
seinem Zuhause, im Wohnzimmer, um genau zu sein, sitzt seine Frau nervös im
Schatten eines riesigen Baums und bereitet ihr Gesicht auf die Freude vor, die
sie, wie sie meint, bei seinem Eintreffen zeigen sollte. Eine Etage höher
liegen ihre Kinder aufgeregt im Bett, voller Vorfreude auf die Geschenke, die
der Weihnachtsmann ihnen bringen wird, und ihr Wiedersehen mit Daddy.
»Vielleicht«, gesteht die Jüngere, »vielleicht bekomme ich einen neuen Mantel,
mohnblumenrot.« Zwei Etagen tiefer, im überheizten Keller des Hauses, bezieht
Pavel eine pflichtgemäß ausgeführte Tracht Prügel, bevor er in einen Käfig
gesperrt wird, der aus einem ähnlichen Keller weiter im Zentrum der Stadt
entfernt wurde. Bis die launischste aller Jungfern, die Geschichte, den
Besitzern dieses Käfigs kürzlich erst ihre Gunst entzog, diente er dort einem
ähnlichen Zweck, der inoffiziellen Einkerkerung der Feinde eines Regimes, das
ein verzerrtes, gebrochenes Kreuz als Insigne trug. Pavel scheint sein
Schicksal nicht zu verfluchen, wenn er gelegentlich auch voller Zorn die Stimme
wegen eines Jungen erhebt, Salomon, der tot ist und doch nichts mit alledem zu
tun hatte. Im Moment werden Pavel noch keine Fragen gestellt, die Schläge sind
für sein Verhör, was das Vorspiel für den sexuellen Akt ist. Weit im Osten, in
einem anonymen Büro, sitzt derweil ein aristokratischer Offizier in einem
bolschewistischen Mantel und studiert ein Bündel Fragen, die mit denen in den
Köpfen von Pavels Vernehmern weitestgehend übereinstimmen, studiert sie in Form
einer überraschend dicken Geheimdienstakte, auf der »Richter, Jean P.« steht,
während sein junger Adjutant auf einer alten Fidel russische Volksweisen
spielt. Eine weitere Akte liegt auf dem Schoß des Militärmantels, auf einer
Seite aufgeschlagen, auf der ein körniges Überwachungsfoto des Colonels zu
sehen ist, der gerade den Mund aufsperrt. Die Gabel auf halbem Weg zwischen
Linse und Auge, auf dem Teller Würstchen im Teig und Kartoffelpüree, und das
Ganze in einem Ambiente, das nur
das Durcheinander einer britischen Offiziersmesse sein kann. Sowohl der Leser
als auch der Fiedler werfen hin und wieder einen flüchtigen Blick auf das
Telefon, aber der Mann, von dem sie hoffen, dass er anruft, ist tot (wir haben
miterlebt, wie er erstochen wurde) und wird im Moment auf Foskos Befehl hin
verstümmelt: Ein Mann zerschneidet ihm das Gesicht, wobei er, in seiner
Unkenntnis der modernen Mittel der Spurensicherung, Ohren und Gebiss intakt
lässt. Anderswo, in einer Billardhalle in Dahlem, diskutiert ein Dutzend Schläger,
die immer noch bestürzt sind über
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