Vyleta, Dan
und sein Gesicht fiel
in sich zusammen. Ich konnte nur noch Trauer darin lesen.
»Der
Krieg«, wiederholte er und sprach hinter der Hand hervor, die er vor den Mund
gehoben hatte. »Er führt einen auf seltsame Wege.«
Ich
musterte ihn eine Weile mit aller Sympathie, die mein einzelnes Organ
aufbringen konnte. Stellen Sie sich eine Tasse vor, die bis an den Rand gefüllt
ist. Rot gerändert und ein wenig fettig. Aber dennoch.
»Sie haben
gekämpft und getötet«, sagte ich. »Im Krieg. Oder?«
»Oh ja.«
»Es
verfolgt Sie.«
Er senkte
den Blick und sagte: »Reden wir über etwas anderes.«
»Churchill«,
sagte er. »Wir könnten über Churchill reden. Ich stelle ihn mir so dick und
hart vor wie Ihren Colonel oben, sich den Bauch reibend, während er über eine
Schlacht auf dem Strand redet - we shall fight
at the beaches, we shall fight at the landing grounds ...«
Den ganzen Tag lang sprachen wir
über den Krieg. Erst ging es um Strategie: Soldatengerede, über die Bombe im
Osten und ob es möglich gewesen wäre, die Festung Europa vom Balkan her
einzunehmen. Warum die Kanadier 1942 in Dieppe eine Schlappe erlitten hatten.
Dann wandten wir uns dem Leben an der Front und der Rauheit dort zu. Der
Männergesellschaft. »Ich sah diese Leute an und dachte, was für Arschlöcher«,
gestand er mir während eines seiner seltenen Ausflüge ins Vulgäre. »Ich war
aufgefordert worden, in den Krieg zu ziehen und mit Arschlöchern zu sterben.
Das war schwer zu ertragen.«
Er hielt
seine Bemerkungen kurz und mied alle Einzelheiten. Das Einzige, was einer
wirklichen Kriegsgeschichte nahekam, war die Erzählung, wie er sich auf seinem
Transportschiff dem Englischen Kanal genähert und jeden Augenblick damit gerechnet
hatte, von einem U-Boot versenkt zu werden. Keine zweihundert Meter entfernt
sahen sie ihr Schwesterschiff untergehen, Zerstörer, die Wasserbomben warfen,
tausend Seemänner, die auf Deck standen und darauf warteten, im schwarzen Ozean
zu ertrinken, und der Wind blies so steif, dass man keine Zigarette anzünden
konnte. Er hätte mehr daraus machen können, es war ein nettes Bild, aber er
blieb bei dem dünnen Tatsachengerüst. Es war verstörend, sein Misstrauen
gegenüber Geschichten.
Wir
redeten auch über Frauen, hier und da. Wie sie in Frankreich an den Straßen
gestanden hatten, dann in Holland, Deutschland, um den Soldaten beim
Marschieren zuzusehen. Über den Hunger der Soldaten auf Frauen, die Härte ihrer
Sprache, die Art, wie sie sich zwischen die Beine griffen und Liebesakte
versprachen. Das führte uns zu verschiedenen Gräueltaten, und dann weiter,
zurück in interessantere Gewässer.
»Warum
haben Sie mit Ihren Listen aufgehört?«, fragte ich ihn. »Mit den Dingen, die
nach dem Krieg passiert sind, meine ich. Sie sagten, Sie haben damit aufgehört.
Warum?«
Er
überlegte. Die Augenlider schlossen sich, der Mund wurde zu einem Strich.
»Sie waren
nicht wahr. Alles ist so passiert, wie ich es aufgeschrieben habe, trotzdem
waren es Lügen. Die toten Menschen, die verratenen Kinder, die vergewaltigten
Frauen, das alles bedeutete mir nichts.«
Pavel fuhr
sich mit der Zunge über die Lippen und studierte mein Gesicht. Ich bin sicher,
er fand den Ernst darin, den er suchte. Endlich einmal verstand ich ihn völlig.
»Es war,
als schriebe ich«, sagte er, »über Leid, das mich kalt ließ. Dabei habe ich im
Krieg ...«
»Ja?«
»Ich habe
auf Menschen geschossen. Ich meine, ich habe sie erschossen. Getötet. Ich war
sehr gut. Sie haben mir Orden verliehen.«
»Hat es
Sie belastet? Das Töten?«
»Ich
erinnerte mich daran, wie man sich an eine Szene in einem Buch erinnert. Anna
Karenina, wie sie sich vor den Zug wirft. Gott, wie habe ich geweint, als ich
das zum ersten Mal las.«
»Ja«,
seufzte ich. »Tolstoi war immer schon einer der ganz Großen für mich.«
Es passte nicht zu dem Bild, das
ich mir von ihm gemacht hatte, dieses Eingeständnis der Gefühllosigkeit. Es
passte nicht zu dem Mann, den ich da vor mir hocken sah, diesem Mann mit dem
strubbeligen, ungewaschenen Haar und den langen Fingern, die sich schon wieder
um eine Zigarette wölbten. Diesem bis ins Innerste sensiblen Mann. Während des
ganzen Mittagessens zerbrach ich mir den Kopf über ihn und versuchte, ihn zu
begreifen.
»Boyds
Anblick hat Sie weinen lassen«, erinnerte ich ihn, die Gabel lustlos zwischen
den Erbsen. »Man hat mir erzählt, dass Sie geweint haben. Unten in der
Leichenhalle. Wie ein Baby. Der
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