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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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nun ganz herab, trat
an den Käfig und sah im Vorübergehen die verschiedenen Folterinstrumente, die
auf dem billig zusammengezimmerten Regal an der Wand lagen. Die Hitze des
Kellers umfing sie, und ich glaubte erkennen zu können, wie sich auf ihren
Nasenflügeln etwas Schweiß bildete.
    »Sie sehen
nicht wie ein Deutscher aus«, sagte sie, als sie noch ein, zwei Meter von Pavel
entfernt war.
    »Das bin
ich auch nicht«, antwortete er. »Nicht ganz, meine ich.«
    Sie reagierte auf seinen Akzent. »Sie sind Amerikaner,
richtig?«
    »Ja.«
    »Ich
könnte die Behörden alarmieren, wissen Sie. Ich bezweifle, dass das hier
rechtmäßig ist.«
    »Das
könnten Sie«, stimmte er ihr zu. »Aber ich glaube kaum, dass Sie es tun
werden.«
    »Warum?«
    »Sie
mussten doch nicht erst hier herunterkommen, um herauszufinden, dass Ihr Mann
ein Schwein ist.«
    Sie hob
die Hand, bevor ihr bewusst wurde, dass er nicht einfach so zu ohrfeigen war.
Dazu hätte sie in seinen Käfig gehen müssen. Diese Hand, daran erinnere ich
mich, sah herrlich weich und weiß aus. Einen Moment lang stand sie da, drehte
sich schließlich zu mir um und hielt die Hand immer noch erhoben, wie zu einem
beiläufigen Gruß. Ich musste an einige Wochenschaubilder Hitlers denken, der
die Massen ähnlich beiläufig gegrüßt hatte.
    »Er ist
zweifellos ein gefährlicher Krimineller?«
    »Eine
Bedrohung der nationalen Sicherheit, Ma'am. Halb Amerikaner, halb Deutscher.
Ein Nazi, ohne Reue.«
    »So sieht
er auch aus«, höhnte sie und ging erhobenen Hauptes zurück zur Treppe. Kurz
vor der Tür oben zog sie ein Taschentuch aus dem Ärmel, wischte sich damit den
Schweiß von der Stirn und setzte das sanfte Lächeln auf, mit dem sie ihren Kindern
begegnete. Damit ging sie hinaus.
     
    »Sie hätten ihr ruhig die Wahrheit sagen können«,
beschwerte sich Pavel, nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hatte. »Es
hätte keinerlei Unterschied gemacht.«
    »Woher
wissen Sie das?«, fragte ich beeindruckt von seiner unmittelbaren Einschätzung
der Frau. Ich selbst war bis dahin geneigt gewesen, sie für das perfekte Opfer
zu halten, vom Leben verwundet: ein bisschen gefühllos in ihrer Art, wie man
einwenden mag, aber doch bis in die Tiefen verletzt.
    Pavel
antwortete nicht, und mir kam erst später der Gedanke, dass er es nicht
ertragen hätte, wäre die Frau des Colonels ein besserer Mensch als dessen Hure
gewesen: Dass die eine sich traute, Fosko herauszufordern, während die andere
buchstäblich alles tat, um auch noch seiner letzten Laune zu folgen. Ich
wollte den Gedanken schon aussprechen, ließ es dann aber. Es lohnte nicht,
unsere aufkeimende Freundschaft mit einer so wenig schmeichelhaften
Beobachtung zu gefährden. Das Letzte, was ich wollte, war, dass Pavel
zurückverfiel in seine anfängliche Missmutigkeit und seine geradezu mongoloide
Faszination für das Insektenleben in seiner Zelle. Es war besser, das Thema zu
wechseln, und so kam ich auf etwas, das mir weit unverfänglicher erschien.
    »Haben Sie
je Kinder gewollt?«, fragte ich ihn wie nebenbei, um das Gespräch auf Anders
und den genaueren Charakter ihrer Beziehung zu lenken. Er schüttelte den Kopf,
die Stirn von altem Bedauern gefurcht.
    »Meine
Frau war einmal schwanger. Vor dem Krieg. Aber sie hat das Kind im siebten
Monat verloren und geschworen, nie wieder eins zu wollen.«
    »Gott«,
sagte ich, »das tut mir leid.«
    Das tat es
wirklich, und langsam lüftete sich das Geheimnis, warum Pavel sich im
kriegsgezeichneten Deutschland versteckte, ohne Nachsendeadresse.
    »Erzählen
Sie mir mehr«, bat ich ihn.
    »Was
wollen Sie wissen?«
    »Alles.«
    »Alles?«,
lachte er. »Als mir das zum letzten Mal jemand gesagt hat, habe ich sie am
Ende geheiratet.«
     
    Und so unterhielten wir uns.
Unterhielten uns über Familie, Eltern, Ehefrauen und Sport. Seine Liebe zu
Büchern und meine. Und ganz gleich, wie weit wir dabei abschweiften, kamen wir
am Ende doch immer wieder auf die Gegenwart zurück und versuchten, die Geschehnisse
so gut wie möglich in eine Reihe zu bringen. Während der Tag verging, erzählte
mir Pavel ziemlich ausführlich, wie es ihm nach Boyds Besuch ergangen war, von
dessen erstem Telefonanruf bis zu seinem Zusammentreffen mit Sonja, und weiter
bis zu ihrem letzten Kuss, obwohl er da vor Einzelheiten zurückscheute und sich
auf die Aussage beschränkte, es sei »sehr schön« gewesen. Als Gegenleistung
erklärte ich ihm, welcher Natur Sonjas Verhältnis zu Boyd und dem Zwerg

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