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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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der
Colonel nach ihm? Das müssen Sie doch wissen.«
    »Er
glaubt, der Junge ist tot. Aufgehängt an Ihrer Vorhangstange. Das Licht war so
schlecht, dass ihm die Verwechslung nicht aufgefallen ist.«
    »Sie haben
es ihm nicht gesagt?«
    »Nein. Ich
muss es vergessen haben.«
    »Danke.«
    Ich fragte
mich, ob er sich über mich lustig machte, aber auf seinen Zügen lag der
gewohnte Ernst. Ich war gerührt und antwortete mit einer leichten Verbeugung.
    »Nichts zu
danken«, sagte ich.
    Ich hielt
es noch für zu gefährlich, zu ihm hineinzulangen und ihm meine Hand anzubieten.
     
    Ich ging früh am Abend, zufrieden
mit der Arbeit des Tages. Mrs Fosko stand hinten im Garten in der Kälte und
rauchte eine Zigarette. Ich winkte ihr zu, aber sie sah mich nicht. Es machte
nichts. Ich würde es ihr am Morgen sagen. Jetzt musste ich nach Hause und mit
dem Packen anfangen. Irgendwann am Nachmittag hatte ich die Entscheidung
gefällt, so lange zu Pavel zu ziehen, bis der Colonel zurückkam. Wir sollten
Zellengenossen werden, Luft, Essen und Eimer teilen, den ganzen Ablauf. Heute
hatte etwas begonnen, das ich zu Ende führen wollte. Das erste Aufglimmen einer
Kameradschaft.
    Oh, ich
weiß, was Sie sagen werden: dass ich ein Narr war. Dass Pavels plötzliche
Bereitschaft, sich mit mir einzulassen, auf kaum etwas anderem als seinem Bedürfnis
nach Informationen beruhte. Dass es ein Strategiewechsel war, für den er sich
vor den Geistern seiner Freunde züchtigte. Na und? So gab er uns die
Möglichkeit, zusammenzusitzen, zu reden und unsere Ansichten auszutauschen.
Den Rest würde die Zeit besorgen. Die Seele ist ein durchlässiges Ding: Sie
leckt und verrät sich. Bei meiner Heimfahrt an jenem Abend freute ich mich auf
das, was durchsickern würde, und fühlte mich geschmeichelt, dass es Pavel
offenbar ähnlich ging.
    Am nächsten Morgen zog ich bei ihm
ein, und langsam, nach und nach, fingen wir an, freier miteinander zu reden.
Wir spielten Schach, Partie um Partie, und wenn er mich so oft geschlagen
hatte, dass mein Stolz darunter zu leiden begann, wechselten wir zu Dame oder
Backgammon. Hin und wieder machte ich ihm kleine Geschenke, meist kulinarischer
Natur: frische Schrippen mit Butter und Aprikosenmarmelade, italienischen
Kaffee aus den persönlichen Beständen des Colonels. Ich benutzte auch das gute
Geschirr, englisches Silber und Stoffservietten, die ich aus den Vitrinen der
Villa oben entführen und an einer aufmerksamen Mrs Fosko vorbeischmuggeln
musste, die das wahrscheinlich kaum gebilligt hätte. Pavel sprach nie offen
aus, dass er meine Anstrengungen zu schätzen wusste, aber ich konnte sehen, wie
sehr ihm das alles gefiel. Es entsprach seiner Herkunft. Im Übrigen rauchten
wir viel, ohne Eile jetzt. Wir genossen den kräftigen amerikanischen Tabak. Um
Pavel zu helfen, in seiner Zelle Ordnung zu halten, gab ich ihm einen
Aschenbecher, allerdings nichts Schweres, das er als Waffe hätte benutzen
können. Einmal bat er mich um ein Rasiermesser, damit er sich die Stoppeln
entfernen konnte, aber das musste ich ihm verweigern. Eine Zahnbürste erlaubte
ich ihm, trotz beunruhigender Visionen des spitzen Griffs in seiner Kehle, oder
in meiner. Ein Mann hat ein Recht darauf, sich den Atem zu erfrischen. Wann
immer einer von uns seinen körperlichen Bedürfnissen nachkommen musste, wandte
der andere sich höflich ab. Pavel machte keine Schwierigkeiten, wenn es darum
ging, Geschirr und Eimer aus seiner Zelle zu holen. Er trat ein paar Meter
zurück und legte seine Hände um die Gitterstäbe, als wollte er meine Pistole
überflüssig machen, aber ich nahm sie schon aus Gewohnheit bei derlei
Gelegenheiten aus dem Halfter. Einen Großteil der Zeit saßen wir nur da und
unterhielten uns, immer darauf bedacht, den anderen besser einschätzen zu
lernen. Oft ging es um Gewalt. Es war so, als gäbe es Dinge in unseren Leben,
die wir erst zur Seite schaffen mussten, bevor wir uns einem wirklichen
Verständnis nähern konnten.
     
    »Das passt nicht zu Ihnen«,
erklärte er mir eines späten Vormittags und sah missbilligend zu der langen
Werkbank mit den Lederriemen und der Metzgerschürze hinüber, die daneben an einem
Haken hing. »Wie sind Sie in das alles nur hineingezogen worden?«
    Ich zuckte
mit den Schultern und war es müde, eine weitere Schmährede über die
Niedertracht meiner Profession zu hören. »Genau wie alle anderen«, sagte ich.
»Durch den Krieg.«
    Er wollte
schon widersprechen, schluckte die Worte aber herunter,

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