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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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gewesen
war und welche Abmachungen sie mit dem Colonel hatte, kurz: das gesamte Netz
aus Lügen und zwielichtigen Geschäften, in das er hineingestolpert war, als er
Boyds übel zugerichtetes Gepäck angenommen hatte.
    Wie gut
ich mich an all das erinnere, an das Erzählen, unser Zusammensitzen, die
ausgetauschten Einzelheiten, das schweißnasse Haar auf unseren Stirnen, und
dass wir immer ein Spielbrett oder ein Kartenspiel zwischen uns hatten. Vor
allem erinnere ich mich an sein Gesicht, die Ruhe seines Ausdrucks, während
seine Lippen schöne, klangvolle Sätze formten. An das düstere Schweigen, in das
er zwischendurch immer wieder verfiel, nur um Minuten später lebhaft
weiterzureden: Dann platzten die Worte förmlich aus ihm heraus, stolperten
übereinander und putzten sich wie Katzen. Meine eigenen Sätze waren damit kaum
zu vergleichen, waren unbeholfene Erklärungen der Warums und Wozus, was die
Handlungen meiner Protagonisten betraf. Mühsam musste ich sie einüben, bis ich
von ihrer Genauigkeit überzeugt war. Pavel hörte mir mit ruhiger Intensität
zu, unterbrach mich niemals, auch wenn er mich hinterher mitunter bat,
bestimmte Einzelheiten noch einmal zu wiederholen, und auf Widersprüche
hinwies. Abends, bevor ich in den Schlaf fiel, schrieb ich manches auf,
fertigte krude Skizzen von Dialogen und Dialogschnipseln an und notierte
verschiedene seiner Ausdrücke, die ich für charakteristisch hielt. Da wuchs
bereits die Idee in mir, das alles einmal aufzuschreiben, in den Jahren nach
meiner Pensionierung, und dabei die Lücken mit meiner Fantasie zu füllen. Aber
vor allem fühlte ich mich in jenen Tagen zufrieden, angeregt und glücklich.
Niemand hatte je so mit mir geredet wie Pavel.
    Nur
manchmal kehrte das Gefühl zurück, dass er mich auf den Arm nahm, sprich: mir
genau das auftischte, was ich am liebsten hören wollte, während er tatsächlich
allein vom prosaischsten aller Gedanken erfüllt war, seiner Flucht. Es gab
Momente, da sein Gesicht aus dem Halbdunkel hervortrat, um sich für ein paar
trostvolle Sekunden an die metallenen Gitterstäbe zu lehnen, Momente, da all
mein Wissen über ihn brüchig wurde, zerstob und ich mich mit leeren Händen im
Spiegel seines Blicks sah. Dann wandte ich mich ab, ging hinauf in die Küche,
um uns ein Bier zu holen, etwas zum Knabbern, und versuchte, in der regen Luft
da oben meine Zweifel abzuschütteln. Einmal, als ich glaubte, ihn dabei
erwischt zu haben, wie er über das Backgammonbrett hinweg meine Waffe
angestarrt hatte, konfrontierte ich ihn geradeheraus mit meinem Verdacht.
    »Sie
wollen meine Pistole?«, fragte ich ihn. »Wenn ich sie Ihnen gäbe, was würden
Sie damit machen? Mich erschießen?«
    Er
antwortete nicht, und sein Schweigen verletzte mich mehr, als es ein
Eingeständnis getan hätte.
    Eine halbe
Stunde später jedoch hatte ich den Vorfall bereits wieder vergessen und versank
in der dankbaren Betrachtung seiner Worte.
    Glauben
Sie also bitte nicht, dass ich ihm völlig auf den Leim ging. Natürlich
vernarrte er sich nicht so in mich wie ich mich in ihn. Natürlich täuschte er
die Nähe nur vor, die ich tatsächlich empfand. Formulierte Sätze, die eher
einer Strategie folgten als einem strikten Wahrheitswillen. Er war mein
Gefangener. Welche Wahl blieb ihm da? Aber das menschliche Herz ist ein kompliziertes
Ding. Eine Weile kann es seine Spiele spielen, dann erwärmt es sich für seine
Rolle. Die Zeit kocht es weich wie eine Kartoffel. Glauben Sie mir: Unter
seiner Wut spross ein Keim Sympathie, winzig erst, aber er wuchs schnell, und
die Worte, die er formte, auch die waren mitunter wahrer, als er es sich selbst
eingestand. Schließlich war er ein Mensch, der unter strengen Vorstellungen
von Ehrlichkeit litt. Solch ein Mann hadert grundsätzlich mit dem Gedanken zu
lügen, zensiert sich höchstens und beschränkt seine Worte. Aber was für
Möglichkeiten blieben ihm dort unten in der Hitze meines Kellers, in dem wir
saßen und um Vertraulichkeiten feilschten.
     
    Folgendes erzählte ich Pavel über
die Vorgeschichte. Söldmann, erklärte ich ihm, war ein deutscher Unternehmer
und Gangster, der im Verdacht stand, den Russen Informationen zu verkaufen. Er
hatte alles Mögliche im Angebot: von den Ergebnissen medizinischer Forschung
der Nazis, die sie in verschiedenen Konzentrationslagern angestellt hatten,
über Angaben zur Lage unterirdischer Fabriken und Golddepots bis hin zu
Konstruktionsplänen eines frühen Prototyps der V2. Es war

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