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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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mal sehen, was passieren wird. Auf der grünen Wiese wirbt ein Fliesengroßmarkt fürs Juhu-biläum . Ein Möbelladen heißt DER MEGA-LUTZ . Vor einem Baumarkt erinnert August sich an eine wütende Männerstimme: Zwanzig Prozent auf alles – außer Tiernahrung! Als der berüchtigte Werbespot einmal im Ponte dei Sospiri lief, hat August den Marketingmanager gefragt: Warum wird eigentlich ausgerechnet Tiernahrung ausgenommen? Man hätte irgendwas nehmen können, hat der Marketingmanager geantwortet, nur, zwanzig Prozent auf alles, das würde sich kein Mensch merken, deshalb braucht man ein grelles Appendix, je debiler, desto besser. August schnäuzt sich und überlegt, ob er in den Baumarkt gehen soll, um Tiernahrung zu kaufen. Da sagt ein vorbeigehender Blaumannträger zu ihm: «Taugt nichts!», und trägt eine Styroporplatte zu seinem Transporter, eilig, damit sie nicht nass wird.

    Menschen, die sich an den Rändern der großen Zentren herumdrücken: Winkelerscheinungen, vertraute Streuner, abgewetzte Sichtbekanntschaften. Eine ältere Asiatin ist bei Hitze wie Regen auf ihrem Fahrrad unterwegs, immer im selben lila Anorak, eine Isomatte auf dem Gepäckträger. Diese eigentümlich reizlose Frau fährt an den Ufern des Flusses entlang, auf dem sich Touristenboote entlangschieben, oder sie kurvt zwischen den prachtlosen Palästen der Regierung umher. Das passt gut, denkt August, nur ist die reizlose Frau sehr klein, und die prachtlosen Paläste sind sehr groß. Ihm ist auch aufgefallen, dass die Beamten, die man von einem Büro ins andere eilen sieht, oft der radelnden Asiatin ähneln. Die Asiatin kennt er aber noch von anderswo. Jeden Abend kann man sie vor einem der Konzerthäuser sehen, mit einem abgegriffenen Pappschild, auf dem Suche Freikarte steht. August stellt sie sich als wahrhaft Liebende vor: Wohnungslos, lebt sie ganz im Obdach der Musik. Sie ist immer bei der hochkarätigsten Veranstaltung des Abends; Veranstalter, die den Wert ihres Programms prüfen wollen, sollten vor die Tür gehen und nachsehen, ob sie da steht. Wie oft schafft sie es hinein? August hat sie drinnen noch nie gesehen (er hat aber auch nie nach ihr gesucht).
    Überhaupt die Figuren in und vor den Konzerthäusern: Der Brezelverkäufer steht immer vor der Tür, nur wenn es keine Pause gibt, bei Oratorien und Mahler oder Bruckner, zieht er zu Konzertbeginn ab. Einmal hat August an der Abendkasse keine Karte mehr für Mahlers Neunte bekommen und wollte stattdessen dem Brezelverkäufer folgen. Doch dann ist sein Blick an den Straßenmusikern hängengeblieben. Sie hatten ihre Instrumente abgestellt und unterhielten sich auf Russisch, zwei zählten das Geld, einer rauchte, einer aß ein Wurstbrot. Der Brezelverkäufer war, als August sich nach ihm umschaute, verschwunden.
    Im Inneren eines Konzerthauses gefällt ihm der Toilettenmann, ein lässiger Inder, der sich an die Heizung lehnt, Stecker im Ohr, und jedem Hereintretenden zunickt. Was für Musik er wohl hört? Indische Schlager? Oder vielleicht immer das, was wenige Meter entfernt, im Saal, auf dem Programm steht? Oder schützt er bloß seine Ohren vor dem Luftzug der Schwingtür? August stellt sich vor, der Mann höre tatsächlich nichts: Eine Stunde lang arbeitet er im Stillen, spült oder bürstet hier einmal nach, erneuert da eine Rolle Papier, und wenn in der Pause ein Schwall Konzertbesucher sich in die Toilettenräume ergießt, sammelt er gesummte Töne, gebrummte Motive, gepfiffene Melodiefetzen, entstellt zwar, aber doch verwandt, und setzt sich so das Stück zusammen, das er nicht gehört hat: Was gäbe August darum, dieses zusammengeklaubte Stück im Kopf des Inders einmal hören zu dürfen!
    Denn Klauben und Sammeln ist ja die Hauptbeschäftigung der Leute am Rand, auch die kleine Asiatin ist eine Musiksammlerin. Eine andere Frau prüft im Park Blätter, Blumen, Sträucher, pflückt Schafgarben, Gänseblümchen und manches, das August nicht erkennt, und packt alles in ihren Rucksack; um es zu essen? Sie ist eine Einzelgängerin. Und welche dunklen Gestalten turnen da nachts auf den Containern hinter dem Supermarkt herum? Sie sind maskiert und tragen Höhlenlampen an der Stirn. Neben den Containern stehen Fahrräder mit Anhängern. «Bleiben Sie weg», ruft ihm einer von oben zu, «auf die Müllcontainer nur mit Atemschutzmaske!» «Was machen Sie da?», fragt August neugierig. «Wir containern. Wir sammeln das Weggeworfene ein», sagt der Maskierte, seine Lampe leuchtet

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