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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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kann – jeder einzelne Akt erfordert unendliche Willenskraft. Er sieht Mann und Hund lange nach. Die Pantoffeln des Mannes sind durchnässt. August macht sich Sorgen über das ständige Auf und Ab seiner Gemütslagen, resigniert und heiter, albern und bedrückt, ist ihm denn nichts wichtig?
    Die Gegend kommt ihm wieder bekannt vor, hier ist er sicher schon gewesen. Da sieht er über den Dächern ein dunkles, ovales Massiv, es droht sich jeden Augenblick herabzubeugen und die Häuser zu verschlingen. So nah ist die Mall also, oder anders, von so weit weg sieht man sie schon, als wäre sie gleich da; wie geht das, bei einheitlicher Traufhöhe? Durch irgendeine optische Täuschung, eine Spiegelung, die die Mall sich vergrößern lässt, nachts, aus der Ferne? Da ist er also im Zickzack gelaufen und kommt am Ende zur Mall zurück, aus einer anderen Richtung. Aber für wen leuchten diese Laternen? August geht den leeren Weg zur verschlossenen Mall. Ein Ort von vollkommener Stille, scheint ihm. Dabei ist sie auch während der Nacht spärlich belebt. August überlegt, hineinzugehen und zu schauen, ob Xerxes noch arbeitet, oder der Security einen guten Abend zu wünschen, wie er es manchmal in ausufernden Arbeitsnächten tut. Der Mann, der ab Mitternacht guten Morgen sagt, macht stündlich seinen Kontrollgang, dazwischen sitzt er mit einem Stapel Magazine in seinem Kabuff. August erschrickt bei der Vorstellung, in der Mall eingesperrt zu sein, die ganze Nacht allein mit Magazinen. Wieder vibriert das Handy in seiner Tasche, um diese Zeit, wieder die Londoner Nummer, und auf irgendeine Weise erinnert ihn das Signal daran, dass er seine Einkaufstüte in den Tristen Tropen vergessen hat. Dann meint er zu verstehen, was das mit der Laterne verwachsene Schloss zu bedeuten versucht: dass die Stadt nicht bloß ringsum von unabsehbarer Peripherie umgeben ist, sondern von zahllosen Peripherien durchsprenkelt und dass selbst die innerste Mitte ihre abertausend Peripherien hat – wie schön, eigentlich. Soll er jetzt rangehen? Sein Hunger ist ganz verschwunden. Er müsste nach Hause, um die nassen Sachen auszuziehen. Allerdings hat er das Gefühl, nach dem langen Schlaf letzte Nacht wird er heute kaum einschlafen können.

    Ein paar Busstationen vom neuen Hauptbahnhof liegt ein heruntergekommenes Gefängnis. Vor seinen Mauern sagt ein junger Ausländer zu seinem Begleiter: «Da drin ist mein Cousin. Und mein Onkel ist auch da drin. Weißt du, wie viele da drin sind? Ich würd die gern alle umbringen.» August denkt, der Jugendliche hat recht, sich mit so rabiater Moral zu schützen. Noch dichter am Hauptbahnhof, nur einen Steinwurf entfernt, liegen Schrebergärten. Die Parzellen sind bevölkert von Accessoires des Heimischseins: Penaten mit Zipfelmützen, Windmühlen aus dem Gartencenter, Buddelkästen für Enkelkinder, und von vertrauten Signalen der Ferne: Highway-Schildern, Konföderiertenfahnen, Wegweisern nach Down-under. Angesichts dieser Sehnsuchtswinke wirkt das ganze neue Reisen, der spektakuläre und komfortable neue Hauptbahnhof mit integrierter Mall lächerlich und trostlos. An die Schrebergärten grenzen veraltete Wohnblöcke, wie felsige Inseln, die aus dem Meer ragen. Doch am besten gefällt August das Maisfeld, das sich auf zehn mal zehn Metern zwischen einem Wohnhaus und den Bahngleisen verbirgt. Die Büschel auf den Maiskolben erinnern ihn an die Haare auf Schädeln, die Kopfjäger zum Schrumpfen in die Sonne gehängt haben: Dies ist mein Cousin, denkt er, dies mein Onkel, dies Salomes Vater, der Sprachforscher; jetzt, da es ununterbrochen regnet, drohen die Schädel zu faulen.
    Das Regierungsviertel ist umlagert von Flecken, die nur durch ihr Dasein das Repräsentative verspotten. Eine Kneipe, in der niemand sitzt, heißt Hauptstadtklause . Eine Imbissbude schmückt ihre Rückwand mit dem Gemälde des berühmten Stadttors, des Wahrzeichens der Stadt, nur stehen anstelle seiner dorischen Säulen sechs gekrümmte Würstchen. August betrachtet sie, während er am Stehtisch eine Cola trinkt. Seine Stirn fühlt sich geschwollen an, er hat Schnupfen.
    An ein Künstlerviertel grenzend liegt eine grüne Wiese da, wie sie eigentlich an Ausfallstraßen gehört; die Peripherie hat sich in dieser weitläufigen Stadt immer weiter ins Innere geschoben, als Tankstelle, Autohaus, Billig-Areal, es gibt hier Stadtranddiscos in bester Citylage. Der nach innen wachsende Stadtrand und die sich ausdehnende City rücken aufeinander zu,

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