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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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Schwarte. Vorwort eines Herrn SJ: was denn nun früher sei, Ihn kennen oder Ihn anrufen; liber primus , was ist nun gesagt, mein Gott, mein Leben, mein Köstliches, was sagt denn irgendein Mensch, wenn er von Dir etwas sagt, et vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt . Als August weiterblättert, findet er zwischen zwei Seiten etwas Kleines, Gelbes, flach und porös, er nimmt es heraus und reibt es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, die Spur einer verwehten Blüte vielleicht, die irgendwann einem Leser ins Buch geflogen ist? August hält den Krümel und überfliegt Seiten, jemand hat Sätze unterstrichen: Was ist also ‹Zeit›? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht . Ach nein, der Krümel ist doch wohl ein plattgedrückter Popel; August ekelt sich, aber dann schlägt sein Herz schneller, unversehens ist ihm ein vergangener Leser so nahe gerückt, und dann schießt es ihm durch den Kopf: ein Popel von Augustinus.
    Wieder im Regen, wird ihm die Tüte mit Margarine, drei Hosen, Baldriandragees, Crème-brûlée-Brenner und Bekenntnissen allmählich schwer, und er beginnt zu frieren. Eine Erkältung würde ihm noch fehlen, er sollte nach Hause gehen oder wenigstens irgendwo rein (und was essen). Aber hier ist ja nichts. Aus vielen Fenstern dringt Fernsehflackern in die nieselnde Nacht, früh schlafen zu gehen scheint hier niemand, aber auf der Straße ist auch keiner. Schließlich findet er, neben einer geschlossenen Glaserei: Triste Tropen – Cocktailbar, gepflegte Biere, Whiski . Als er eintritt, hört er einen Bossanova, quiet nights of quiet stars , und sieht einen braunen Hintern in rotem Tanga, Strandfußballer, rote und gelbe Vögel im Regenwald, Karneval in Rio. Hinter dem Tresen steht eine Südländerin mit blondgefärbten Haaren und rosa Fingernägeln (die Bierpflegerin, denkt August) und unterhält sich mit dem einzigen Gast, einem braungebrannten Mann mit Korkenzieherlocken; auch sie zwei Höhlengestalten, denkt August und bestellt ein Bier. An einem Stehtisch in der Ecke nimmt er die Bekenntnisse aus der Tüte und beginnt zu blättern, da kommt schon die Bierpflegerin, August trinkt einen Schluck und liest: Groß bist Du, Herr, und hoch zu preisen , denkt noch, man muss das konzentriert lesen, konzentriert, und spinnt schon, Herr, du bist hochpreisig, schaut auf und lässt den Blick durch den leeren Raum schweifen, quiet thoughts and quiet dreams, quiet walks by quiet streams . Bierpflegerin und Korkenziehermann schielen zu ihm herüber, ein Mann mit Anzug und Buch kann nichts Gutes bedeuten, Immobilienmakler, Gesundheitsamt, Schutzgeld; da fällt sein unruhig weiterwandernder Blick auf den Zeitschriftenständer neben den Toiletten: Was tue ich, wenn ich pleite bin? Er legt das Buch auf den Tisch und steht auf, um die Zeitung zu holen. Vor dem Ständer wird er ungeduldig und beginnt gleich im Stehen nach dem Artikel zu blättern, was tue ich bloß, da schreckt er auf und denkt, die Blicke der beiden werden immer misstrauischer, steckt die Zeitung zurück, zahlt sein Bier und verlässt die Tristen Tropen.
    Der Regen hat fast aufgehört, aber nicht ganz, es ist, als könnte er gar nicht mehr aufhören, als gäbe es eine allgegenwärtige Feuchtigkeit. In hundert kleinen Pfützen glänzt das Licht der Laternen. Egal, wohin er geht, er wird ja auf eine Bushaltestelle oder einen Bahnhof stoßen. Etwas Winziges schwebt zur Erde und fällt auf den nassen Bürgersteig: ein Bonbonpapier. August schaut die Hauswand hoch und sieht menschenleere Balkone. Ob sich hinter einer Brüstung ein Kind duckt und kichert? Es müsste längst im Bett sein. Vor wie vielen Fernsehern, deren Flackern durch die Scheiben dringt, sitzen wohl Kinder, die morgen zur Schule sollten? Nein, es sind ja Sommerferien. HALLO steht an einer Häuserwand. Das Wort ist mit Zahnpasta auf den Putz geschrieben, dieses Zahnpasta-HALLO wirkt wie ein Stich in Augusts Herz. Auf der sonst menschenleeren Straße führt ein derangierter Mann in Bademantel und Pantoffeln seinen Hund Gassi. Hat er sich selbst aufgegeben, dass er so rausgeht? Aber er konnte ja nicht damit rechnen, hier draußen noch jemanden zu treffen. August erscheint das Bild wie eine Allegorie der Fürsorge, und er bewundert den Mann: einen Bademantel anziehen – Hausschuhe anziehen – den Hund an die Leine legen – die Tür öffnen, hinuntergehen, hinaus, damit das Tier auf die Straße scheißen

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