Wachen! Wachen!
diesem Wesen jemals gelingen sollte, der Schwerkraft zu trotzen und sich vom Boden zu lösen.
Außerdem richtete es den intelligentesten Blick auf Mumm, den er jemals bei einem Tier gesehen hatte, einschließlich Korporal Nobbs.
»So was passiert manchmal.« Lady Käsedick seufzte. »Es liegt an den Genen, weißt du.«
»Tatsächlich?« erwiderte Mumm. Der kleine Drache schien jene Kraft, die seine Geschwister an Feuer und Geheul verschwendeten, auf ein durchdringendes Starren zu konzentrieren, das einer thermischen Lanze gleichkam. Der Hauptmann erinnerte sich plötzlich daran, daß er sich als Kind ein Hündchen gewünscht hatte. Nun, damals hungerte die Familie: Auf den Tisch kam alles, das zumindest teilweise aus Fleisch bestand…
»Man achtet beim Züchten auf ordentliche Flammen, dicke Schuppen, die richtige Farbe und so weiter«, fuhr Ihre Ladyschaft fort. »Gelegentliche Ausrutscher lassen sich nicht vermeiden.«
Das seltsame Wesen warf Mumm einen Blick zu, der ihm zweifellos den Der-Drache-den-die-Preisrichter-am-liebsten-nach-Hause-mitnehmen-und-als-lebendes-Gasfeuerzeug-verwenden-würden-Preis eingebracht hätte.
Gelegentliche Ausrutscher,
wiederholte Mumm in Gedanken. Er wußte nicht genau, was dieser Ausdruck bedeutete, ahnte jedoch, daß er nichts mit Beinen, Füßen und verlorenem Gleichgewicht zu tun hatte. Es klang eher danach, was übrigblieb, wenn man alles Ehrenhafte und Nützliche fortnahm.
Wie die Wache,
dachte er.
Nobby und Colon, die reinsten Ausrutscher. Und das gilt auch für mich. Mein ganzes Leben ist ein einziger Ausrutscher.
»Die Natur ist nicht immer besonders zuverlässig«, sagte Lady Käsedick gerade. »Natürlich fiele es mir nicht im
Traum
ein, Federstein als Zuchtmaterial zu verwenden.«
»Warum nicht?« fragte Mumm.
»Drachen paaren sich in der Luft, und mit diesen Schwingen kann er überhaupt nicht fliegen. Sein Vater war Brenda Rodleys Baumbiß Hellschuppe. Kennst du Brenda?«
»Äh, nein«, antwortete Mumm. Lady Käsedick gehörte zu den Leuten, die annahmen, jeder sei mit jedem bekannt…
»Nette Frau. Nun, mit Federsteins Brüdern und Schwestern ist soweit alles in Ordnung.«
Armer kleiner Kerl,
dachte Mumm.
Die Natur ist nicht immer besonders zuverlässig? Von wegen! Man kann sich darauf verlassen, daß sie einem immer die schlechtesten Karten gibt.
Kein Wunder, daß man sie als
Mutter
bezeichnete…
»Du wolltest mir doch etwas zeigen, nicht wahr?« drängte Lady Käsedick.
Mumm reichte ihr wortlos das Paket. Sie streifte die dicken Handschuhe ab und öffnete es.
»Ein Gipsabdruck«, stellte sie fest. »Und?«
»Erinnert er dich an etwas?« fragte Mumm.
»Könnte von einem Stelzvogel stammen.«
»Oh.« Der Hauptmann fiel wie aus allen Wolken.
Lady Käsedick lachte. »Oder von einem ziemlich großen Drachen. Hast dir das Ding aus einem Museum besorgt, stimmt’s?«
»Nein. Ich habe die Spuren heute morgen in einer Gasse gefunden.«
»Was? Ich glaube, da hat dir jemand einen Streich gespielt, Teuerster.«
»Äh. Es gab noch einige andere, äh, Indizien.«
Mumm berichtete von der Mauer. Ihre Ladyschaft starrte ihn groß an.
»Draco nobilis«,
sagte sie heiser.
»Wie bitte?« Mumm blinzelte verwirrt.
»Draco nobilis.
Der erhabene Drache. Im Gegensatz zu diesen Biestern hier.« Lady Käsedick vollführte eine Geste, die den vielen heulenden und zischenden Echsen galt.
»Draco vulgaris,
sie alle. Aber die wirklich großen Exemplare existieren nicht mehr. Sie sind verschwunden. Steht fest. Kein Zweifel. Ach, sie waren wunderschön! Wogen Tonnen. Die größten fliegenden Tiere. Niemand weiß, wie es ihnen gelang, der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen.«
Lady Käsedick runzelte plötzlich die Stirn.
Hauptmann Mumm folgte ihrem Beispiel. Eine seltsame Stille herrschte.
Die Drachen in den Pferchen waren mucksmäuschenstill, schienen auf irgend etwas zu warten und blickten zur Decke.
K arotte sah sich um. Regale erstreckten sich in alle Richtungen, und Bücher standen darin. Er ahnte langsam, um welchen Ort es sich handelte.
»Dies ist die Bibliothek, nicht wahr?« fragte er.
Der Bibliothekar hielt weiterhin die Hand des Jungen – sanft und gleichzeitig fest –, als er ihn durch das Labyrinth aus schmalen Gängen führte.
»Liegt hier irgendwo eine Leiche?«
Bestimmt,
dachte Karotte. Schlimmer als Mord! Eine Leiche in der Bibliothek. Die möglichen Konsequenzen waren nicht abzusehen.
Schließlich blieb der Affe vor einem Regal stehen, das
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