Wachen! Wachen!
Zunächst einmal mußte ein Ziel für das überstürzte Handeln gefunden werden…
Ich habe mich nicht geirrt,
fuhr es Mumm durch den Sinn.
Stelzvogel, ha!
Aber wo begann man in einer so großen Stadt wie Ankh-Morpork mit der Suche nach einem Drachen?
Der Hauptmann merkte plötzlich, daß seine rechte Hand ein sonderbares Eigenleben entwickelte und die unterste Schublade des Schreibtischs aufzog. Drei Finger gehorchten Anweisungen des Unterbewußtseins und holten eine Flasche hervor. Es war eine jener Flaschen, die von ganz allein leer wurden. Logik teilte Mumm mit, daß er ab und zu eine volle Flasche berührte, das Papiersiegel vom Korken löste und bernsteinfarbene Flüssigkeit beobachtete, die bis in den Flaschenhals reichte. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Irgendeine seltsame Fügung des Schicksals sorgte dafür, daß seine Flaschen immer zu zwei Dritteln leer waren.
Er starrte aufs Etikett. Offenbar handelte es sich um Jimkin Bärdrückers alten und gut gelagerten Drachenblutwhisky. Billig und stark. Man konnte damit Kaminfeuer anzünden und Löffel reinigen. Es war nicht nötig, viel davon zu schlucken, um betrunken zu sein, was durchaus Vorteile hatte – man sparte eine Menge Geld.
Irgendwann rüttelte Nobby den Hauptmann wach und teilte ihm mit, daß sich ein Drache in der Stadt herumtrieb und Feldwebel Colon eine Art Anfall erlitten hatte. Mumm beugte sich vor und zwinkerte wie eine Eule, während er versuchte, die Worte festzuhalten und zu verstehen. Selbst der unerschütterlichste Mann blieb nicht ruhig und gelassen, wenn eine riesige feuerspeiende Echse seine unteren Körperregionen aus einer Entfernung von nur knapp zwei Metern beobachtete. Derartige Erfahrungen hinterließen einen nachhaltigen Eindruck.
Mumm war noch immer damit beschäftigt, Nobbys Mitteilungen geistig zu verarbeiten, als Karotte mit dem Bibliothekar erschien.
»Habt ihr ihn gesehen?« rief er. »Habt ihr ihn gesehen?«
»Ja, wir
haben
ihn gesehen«, brummte der Hauptmann.
»Ich weiß darüber Bescheid!« verkündete Karotte triumphierend. »Man hat ihn mit Magie herbeigeholt. Jemand hat ein Buch aus der Bibliothek gestohlen, und ratet mal, wie es heißt.«
»Keine Ahnung«, erwiderte Mumm gequält und stöhnte leise.
»Der Titel lautet
Die Beschwörung von Drachen!«
»Ugh«, bestätigte der Bibliothekar.
»Ach?« Mumm seufzte. »Und?«
Der Bibliothekar rollte mit den Augen.
»Da drin steht, wie man Drachen beschwört. Mit Magie!«
»Ugh.«
»Und das ist verboten, jawohl!« fügte Karotte fröhlich hinzu. »Wer gefährliche Geschöpfe in der Stadt freisetzt, macht sich strafbar. Das Gesetz über wilde Tiere (Schutz der öffentlichen Sicher…«
Mumm stöhnte erneut. Magie bedeutete Zauberer. Und mit Zauberern bekam man nur Schwierigkeiten.
»Ich nehme an, es gibt keine zweite Ausgabe des Buchs, oder?« fragte er.
»Ugh.« Der Bibliothekar schüttelte den Kopf.
»Und du kennst nicht zufälligerweise den Inhalt? Wie?« Mumm blinzelte. »Was? Oh. Vier Wörter. Erstes Wort. Drei Buchstaben. Was? Das? Der? Die? Sie? Wie? Wie. Zweites Wort. Kurzes Wort. In, auf, und, man… man. Wie man. Ja, ich
verstehe,
aber ich meinte: Kennst du Einzelheiten des Inhalts? Nein? Oh.«
»Was unternehmen wir jetzt, Sir?« fragte Karotte diensteifrig.
»Der Drache ist irgendwo dort draußen«, intonierte Nobby. »Tagsüber versteckt er sich, denn er scheut das Licht der Sonne. Zusammengerollt liegt er in seiner geheimen Höhle, auf einem großen Schatz aus glänzendem Gold, und er träumt Reptilienträume aus dem Anbeginn der Zeit. Geduldig wartet er darauf, daß sich der dunkle Vorhang der Nacht senkt. Wenn die Finsternis herankriecht, fliegt er wieder unter dem Himmelszelt, im perlmuttenen Schein des Mondes…« Nobby zögerte und fügte in einem verdrießlichen Tonfall hinzu: »Was starrt ihr mich so an?«
»Sehr poetisch«, sagte Karotte.
»Nun, jeder weiß, daß die großen Drachen auf einem Goldschatz schlafen«, erwiderte der Korporal. »In den Legenden und Sagen ist dauernd die Rede davon.«
Mumm blickte niedergeschlagen und kummervoll in die nahe Zukunft. Nobby mochte widerwärtig und abscheulich sein, aber er bot ein gutes Beispiel dafür, was dem durchschnittlichen Bürger von Ankh-Morpork durch den Kopf ging. Man konnte ihn als eine Art Wetterfrosch benutzen, um das allgemeine Stimmungsklima vorauszusagen.
»Wahrscheinlich würdest du gern herausfinden, wo der Schatz versteckt ist, nicht
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