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Wachgeküßt

Wachgeküßt

Titel: Wachgeküßt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Harvey
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dahinzuschmelzen wie Schnee bei Tauwetter.
    »Richte es dir so ein, wie es dir gefällt.« Emma sieht sich verächtlich um. »Wirklich, mach damit, was du willst.«
    »Und was sagen deine Eltern dazu?«

    »Mein Vater kommt sowieso nie hierher, und Mutter würde es nicht einmal merken, selbst wenn du alles kotzgelb mit lila Punkten streichen würdest. Wahrscheinlich würde sie nur denken, daß sie infolge des lebenslangen Konsums von Gin ohne einen Tropfen Tonic eine getrübte Sicht hat, und dann würde sie sich vom Seelenklempner eine weitere Packung kleiner rosa Pillen verschreiben lassen.
    War das der letzte?« Sie deutet auf den Karton, den sie gerade auf das Bett hat fallen lassen.
    Ich nicke.
    »Okay, brauchst du Hilfe beim Auspacken?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Dann lasse ich dich jetzt ein bißchen allein... damit du dich eingewöhnen kannst.«
    Sie lächelt mir zu, schließt die Tür, und ich bin allein.
    Ich sinke auf das Bettsofa und betrachte den Haufen Kartons um mich herum, der mein ganzes Leben ist. Ich habe nicht viel aus den vergangenen siebenundzwanzig Jahren vorzuweisen, nur ein paar Kartons voller Klamotten, Gerümpel und unvollendeter Manuskripte.
    Die Euphorie früheren, hemmungslosen Vandalismus nutzt sich schnell ab. Wie eigenartig, hier zu sein, mein ganzes Hab und Gut zusammengepackt neben mir. Ganz egal, wie offensichtlich es war, daß das Haus in Battersea rein äußerlich Max gehörte, ich hatte begonnen, es als mein Heim anzusehen.
    Aber jetzt hat sich mein Leben völlig verändert, innerhalb von gerade einmal achtundvierzig Stunden. Weg sind Heim, Max, die alltägliche Routine und mein altes Leben.
    Die Zukunft, vor kurzem noch ziemlich absehbar, ist nun völlig ungewiß.
    »Ich werde nicht heulen«, sage ich mir voller Entschlossenheit.
    »Ich werde nicht heulen«, beharre ich, während mir schon die ersten, salzigen Tränen über die Wangen laufen.

2
    Trotz des überwältigenden Dranges, einmal »Stolz und Vorurteil« zu spielen und mich wie Mrs. Bennet für eine längere Zeit in meine Gemächer zurückzuziehen, um mich von der Außenwelt abzuschirmen, geht das Leben (»Das ist das Leben, Jim, aber nicht so, wie wir es kennen«) weiter. Ich nehme eine Woche Urlaub und streiche das Zimmer sonnengelb, wobei ich fälschlicherweise davon ausgehe, daß die leuchtende Farbe mich aufheitert. Jeden Abend trinke ich bis zum Umfallen, und entweder esse ich zuviel Junk Food oder ich esse gar nichts, während meine Gefühle Achterbahn fahren.
    Für Max muß es ein ganz schöner Schock gewesen sein, in ein Haus zurüclczukommen, in dem jede Spur von mir wie weggewischt ist.
    Nachdem er zuerst mehrmals am Tag probiert hat, mich zu erreichen, obwohl seine Anrufe alle ignoriert wurden und unbeantwortet blieben, hat er jetzt den Versuch, mit mir zu reden, ganz aufgegeben. So wie ich immer entsetzt auf mein Handy starrte, wenn es klingelte und Max’ Nummer auf dem Display zu erscheinen wagte, so starre ich es jetzt voll elender, unerfüllter Vorahnungen an, während es mich in seiner Untätigkeit stumm zu verhöhnen scheint.
    Aber nicht nur das. Max weiß bestimmt, wo ich bin, aber er hat sich nicht einmal in der Nähe von Emmas Wohnung blicken lassen. Ich bin fest davon überzeugt, daß ich ihn nicht zurückhaben will, aber es wäre schön, wenn ich Gelegenheit hätte, ihm das zu sagen. Ich bin der Ansicht, daß er als der Betrüger die Pflicht
hat, mir die Möglichkeit zu geben, ihm auf den Kopf zuzusagen, was für ein verdammtes Schwein er ist.
    Diese Vorstellung beschäftigt mich während der langen, einsamen Nächte, wenn ich in dem breiten Doppelbett in Emmas Gästezimmer liege und die frisch gestrichene Decke anstarre, ein Frischling in Sachen Schlaflosigkeit.
    In meiner Phantasie sehe ich Max bettelnd unten auf der Straße sitzen und mich auf Knien anflehen, ihm noch eine Chance zu geben. Er gibt zu, ein Dummkopf gewesen zu sein und sagt mir immer wieder, wie wunderbar ich doch bin. In dem verzweifelten Bemühen, mich zurückzuerobern, erniedrigt er sich selbst völlig. Diese Vorführung endet unterschiedlich, meist geht es darum, daß ich irgend etwas Widerliches aus dem Fenster auf seinen Kopf gieße und alle seine Hoffnungen mit einer geistreichen, klugen und gewieften kleinen Ansprache zunichte mache, woraufhin er während des gesamten Heimwegs mit sich selbst hadert, weil seine Blödheit so vollkommen und absolut ist.
    Ich weiß sehr wohl, daß ich zunächst keine Aussprache wollte,

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