Wachgeküßt
was er ist, egal, ob man Zwiebeln zum Frühstück ißt oder im Bett so laut furzt, daß du davon aufwachst und an der Stuckdecke klebst.«
Er kann Gedanken lesen.
»Du mußt lernen, dich selbst zu akzeptieren, dann akzeptierst du auch andere und umgekehrt.«
Ich wußte gar nicht, daß mein Bruder ein solcher Philosoph ist.
»Mir ist völlig klar, daß du es dir im Moment nicht vorstellen kannst, aber du wirst schon wieder jemanden kennenlernen.« Er lächelt mir aufmunternd zu und fängt an, Reis aus einer der Schachteln auf die Teller zu häufen. »Jeder kriegt mehr als nur einen Menschen ab. Ich glaube nicht an das Gerede von der >einen großen Liebe<. Du triffst jemand anderen, und du verliebst dich wieder. Diese Liebe wird nur etwas anders aussehen.
Aber diese Tatsache wertet sie nicht ab, es ist nur anders. Wart’s ab, du wirst schon sehen, was ich meine. Entweder es kommt so, oder du triffst jemanden, bei dem dir klar wird, daß du Max nie wirklich geliebt hast...«
»Wirklich?«
»Bestimmt.« Er schenkt mir Wein nach.
»Was ist mit dir? Irgendwas Neues in Sachen Romantik?« frage ich, um das Gespräch von mir abzulenken.
»Ich habe da eine kleinere Sache am Laufen.« Er lächelt undurchsichtig.
»Ach ja? Und wer ist diese >kleinere Sache«
»Ähm, es geht nicht so sehr um eine Person, sondern um eine Gruppe.«
»Wie bitte?« Entweder plant Jem eine Orgie, oder das Ganze bedarf noch einiger Erklärungen.
Er sieht irgendwie durchtrieben aus und gibt vor, sich plötzlich sehr für das Chop Suey zu interessieren. Die Theorie von der Orgie nimmt Formen an.
»Worauf willst du hinaus, Jem?« Ich sehe ihn herablassend an und versuche zu ergründen, welches Geheimnis sich hinter seinen dunklen, schalkhaften Augen verbirgt.
»Willst du jetzt essen oder nicht?« Er wechselt geschickt das Thema und widmet seine ganze Aufmerksamkeit den Spare Ribs, greift eines mit spitzen Fingern und beginnt, mit seinen kräftigen weißen Zähnen daran herumzuzerren.
»So leicht wirst du mich nicht los.« Ich stelle das Weinglas ab, verschränke die Arme vor der Brust und starre ihn so lange an, bis er meinen Blick einfach erwidern muß. »Du hast doch was vor, und ich will wissen, was.«
Er seufzt, legt das Spare Rib weg und leckt sich die dunkelbraune, klebrige Barbecue-Soße von den Fingern.
»Es bleibt unter uns, versprochen?«
»Großes Indianerehrenwort.«
»Du bist aber kein Indianer.«
»Gut, dann eben Pfadfinderehrenwort.«
»Du warst auch nie...«
»Schon gut, schon gut«, unterbreche ich, »ich war nie bei den Pfadfindern, aber ich bin deine Schwester. Wenn du mir schon nicht vertraust, wem vertraust du dann?«
Nachdenklich sieht er mich einen Augenblick lang an.
»Aber es bleibt unter uns?« wiederholt er.
Ich nicke.
Jem zögert, dann grinst er.
»Okay, ich zeig’s dir. Aber zu niemandem ein Wort, ja?«
»Wieso nicht? Ist das etwa illegal, was du da vorhast?«
»Natürlich nicht, du Dummerchen. Nichts dergleichen. Aber, also, manche Leute haben vielleicht... also, manche Leute haben damit vielleicht ein moralisches Problem, falls man es so nennen kann.«
Ich hatte recht: Er plant eine Orgie.
Wir unterbrechen die Mahlzeit und er führt mich zum Gästezimmer, das durch die strategisch geschickte Plazierung eines Computers in einer Ecke in ein Arbeitszimmer umgewandelt wurde.
Jem drückt die Starttaste und erweckt die Maschine zum Leben. Er drückt auf eine Reihe weiterer Tasten, läßt die Maus über den Schreibtisch flitzen, und eine Datei erscheint auf dem Bildschirm: eine lange, irgendwie kompliziert aussehende Liste mit Namen und Rubriken.
»Was ist das denn?« Ich sehe genauer hin, meine Augen passen sich allmählich an den hellen Bildschirm vor dem gedämpften Raumhintergrund an.
»Das sind meine heißesten Tips«, erklärt er mir, sehr darum bemüht, ein breites Grinsen zu unterdrücken.
»Deine heißesten Tips?«
»Ja. Die auserwählten Frauen, etwa vierzehn an der Zahl, die
einmal das Glück haben könnten, in einer kalten Nacht mein Federbett zu teilen... oder in einer warmen. Ist mir egal, wann, solange wir beide nackt und gut drauf sind. Sind alle in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, mit Querverbindungen zu Telefonnummern, Lieblingskneipen und mit Sternchen versehen, je nachdem, wie wahrscheinlich es ist, daß sie mich auch mögen.«
»Die heißesten Tips!« schnaube ich verächtlich und überfliege die Namen. »Du solltest eher von den heißesten Titten sprechen! Die
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