Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
als Wasser. Sie gingen hin, um Enthaltsamkeit zu üben, es war Shamus’ neueste Masche, um fit zu bleiben bis in ein schönes alttestamentarisches Alter hinein. Sie fuhren im Bus hin, auf den Vordersitzen des Verdecks, nach sechs Uhr, wenn die Wagen nach Osten zumeist leer waren. Zu einem verrußten Lagerhaus hinter der Cable Street, wo Taue von den Tragbalken baumelten und über dem Zementboden ein altes Trampolin gespannt und ein Boxring unter Bogenlampen mit Seilen und blutbeflecktem Segeltuch errichtet war. Cassidy trug ein Sporttrikot mit einem blauen Lorbeerblättchen auf der linken Brust, Shamus hingegen wollte nicht von seinem Leichenfrack lassen, er weigerte sich, für den › Zusammenstoß ‹ die Kleidung zu wechseln. Hall trug weiße Segeltuchhosen, die an den Aufschlägen ebenso weit waren wie am Bund, und ein Baumwolleibchen, in das auf den Schultern Kniffe gebügelt waren. Hall war ein kleiner, runder, zahnloser Mann mit flinken braunen Augen, blitzschnellen Fäusten und einer Gesichtshaut, die in Quadrate gesteppt war wie eine alte braune Bettdecke. Auf Cassidy wirkte er wie ein Schiffskaplan, er hatte die gleiche Seemannsphilosophie und eine fromme Art zu trinken, die gleiche Art, einem die Hand zu schütteln und dabei nach dem lieben Gott hinter einem zu schielen.
    Er nannte Shamus ›Lovely‹.
    Nicht ›my lovely‹, sondern einfach Lovely, als wäre es ein Hauptwort. Le beau , dachte Cassidy, als er es zum erstenmal hörte; Regence-Tradition. Vor dem ›Zusammenstoß‹ schauten sie dem Sparring von Halls weißen Hoffnungen zu, vergnügten sich auf dem Trampolin und fuhren auf dem Heimtrainer.
    Nach dem ›Zusammenstoß‹ gingen sie hinauf zu ›Sal’s Place‹, wie Hall seine Wohnung nannte. Sal war Halls ein und alles; er liebte sie mehr als sein Leben. Sie war neunzehn und ein schlichtes Gemüt, von Beruf Strichmädchen, zur Zeit jedoch auf Halls Betreiben im Ruhestand.
    Aus diesem Grund erlaubte Hall ihr selten, das Haus zu verlassen, sondern bunkerte sie sicherheitshalber ein.
    »Einbunkern?« fragte Cassidy.
    Einbunkern sei Gefängnisjargon, erklärte Shamus stolz; Hall sei im Bau gewesen. Einbunkern bedeutete, die Zellentür am Abend zuschließen.
    Deshalb ist Hall Prediger, dachte Cassidy und dachte an Old Hugo; er hat die Frömmigkeit granitener Mauern kennengelernt.
    Für den ›Zusammenstoß‹ boxte Shamus mit Hall, wenn der Saal leer war bis auf Cassidy und einen Mann namens Ming, einen stocktauben Blutaufwischer.
    Hall ließ sich nur herbei, wenn der Trainingsraum leer war; das war seine eiserne Regel, das waren sein Stolz und seine Auffassung von dem, was sich in einer gutgeführten Sportschule gehörte, denn Shamus boxte völlig kunstlos und wollte es auch nicht besser lernen.
    »Warte«, sagte Hall energisch und verriegelte die Türen. »Warte, Lovely, ich sag’ dir’s«, und tauchte dann flugs unter den Seilen durch in den Ring, ehe Shamus ihn erwischen konnte.
    Der sportliche Einsatz bestand für Shamus aus dem Angriff. Er griff in jähen Hieben an, bewegte die Arme in seinem Leichenfrack wie Dreschflegel und brüllte: »Scheißkerl, Hundsfott, Prolet!« Und wenn er seinen Gegner zu fassen kriegte, umschlang er ihn, drückte ihm die Rippen ein und biß ihn, bis Hall sich genötigt sah, ihn wegzuschlagen. Manchmal bediente er sich des Freistils und versuchte, nach ihm zu treten, dann riß Hall seinen Fuß hoch und warf ihn auf den Rücken.
    »Langsam, Lovely, langsam. Ich möchte Ihnen nicht weh tun müssen«, sagte Hall, der den Zweck dieser Kämpfe gänzlich mißverstand.
    Sehr selten und nur, wenn er über jedes erträgliche Maß hinaus provoziert wurde, versetzte Hall ihm einen Schlag gegen die Wange, einen Streich mit dem Handrücken, um ihn vom Angriff abzubringen. Dann trat Shamus einen Schritt zurück, war sehr blaß, schmollte und lächelte zugleich über den Schmerz und rieb sich die Wange mit dem schwarzen Ärmel.
    »Menschenskinder«, sagte er dann, »wau! He, geben Sie so einen mal Cassidy. Cassidy, das muß man gespürt haben, es ist fantastisch.«
    »Ich kann mir’s vorstellen«, erwiderte Cassidy darauf lachend. »Trotzdem vielen Dank, Hall.«
    »Er könnte ein grandioser Boxer sein«, erklärte Hall droben in ›Sal’s Place‹, während sie den Talisker aus Cassidys Diplomatenmappe tranken. »Nur seine Beinarbeit, da sitzt der Haken, die macht ihm zu schaffen, was, Lovely? Aber Sie sind schon ein Teufelskerl, was?«
    »Ich finde ihn nett«, sagte Sal,

Weitere Kostenlose Bücher