Wachsam
Konturen von Westminster. »Kalter Aufschnitt aus Laster, Gier und Macht, das ist die Politik, merk dir das. Und nimm dir Blues Worte zu Herzen, Aldo; die Frau kennt das Leben.«
»Siehst du es jetzt ein, Aldo, tief im Innern?« forschte der Saum.
»Und Hugo, Aldo kennt das Leben auch, er ist kein kleines Kind mehr.«
Als sie ihn hinausbegleitete, drückte sie seine Hand und wünschte ihm viel Glück.
»Ich freue mich so, daß Sie zu den Konservativen gehen«, flüsterte sie, »aber tun Sie’s nicht auf Kosten ihres Vaters, nicht wahr, mein Lieber, so etwas ist nicht von Dauer.«
»War er denn ein Konservativer?« fragte Cassidy und meinte Old Hugo, und er lächelte noch bei dem Gedanken, ihnen beiden so gut gefallen zu haben.
»Schsch«, machte Blue, und ihr Atem roch nach Haferkuchen.
Auch im Büro in der South Audley Street war alles eitel Sonnenschein, alle waren zufrieden. Meale hatte drei Wochen Urlaub auf einmal genommen und sich in ein Kloster in Leeds zurückgezogen; Lemming war auf den Scillyinseln; Faulk hatte ein Landhaus in Selsey gemietet und lebte in vielbesprochener Glückseligkeit mit einem Polizisten aus der Metropole. Von seinem ganzen cercle war nur Miß Mawdray edelmütig zurückgeblieben, um dem Herrn Generaldirektor zu Diensten zu stehen. Ihre meiste Zeit verbrachte sie mit Einkaufen. Wenn sie nicht gerade Prachtwerke über Revolution, Sanierung und den Gemeinsamen Markt bestellte (entweder zur Lieferung nach Abalone Crescent oder zum Schmuck des Klapptisches im Wartezimmer), kümmerte sie sich um zahlreiche kleine Annehmlichkeiten für die Protegés ihres Gebietes. Sie mobilisierte den Bücherdienst von Harrods und sorgte für Zeitungsabonnements bei einer Presseagentur; für Kredit bei einer Theaterkartenagentur auf Rechnung der Firma. Das alles auf Cassidys Anweisung, das alles mit größter Tüchtigkeit. Sie ließ Schreibpapier von Henningham and Hollis hinüberschicken und sorgte dafür, daß bei einer Agentur in Pimlico jederzeit eine Stenotypistin auf Abruf bereitstand.
Nachdem er Helen (außerhalb von Shamus’ Hörweite) überredet hatte, eine kleine Überbrückungshilfe bis zum Erscheinen des neuen Buches anzunehmen, beschloß Cassidy, daß sie auch eine Kreditkarte haben sollte, und mit einigen Schwierigkeiten und viel physischer Ausdauer gelang es Angie Mawdray, Helens Aufnahme in die Kundenkartei eines der bedeutendsten Geldinstitute zu erwirken.
»Himmel«, sagte sie kichernd, »sie wird Sie ruinieren, ich würd’s tun.«
Angie war nie großzügiger gewesen. Bisher hatte sie sich stets dagegen gewehrt, Sandra in Nebensächlichkeiten hinters Licht zu führen, zum Beispiel, ob er in London sei oder in Manchester, oder ob er noch immer in Paris sei. Jetzt waren ihre Skrupel verschwunden, und obgleich Cassidy ihr nichts über seine Gewerkschaftspläne anvertraute, wußte sie genug und erriet genug, um seine Interessen zu wahren, wenn es nötig wurde. Und ihre äußere Erscheinung kündete von reinstem Glück. Ihre häufig ungestützten Brüste blieben trotz der Sommerhitze stramm und spitz; ihre Sommerröcke, die noch nie lang gewesen waren, hatten sich zu ergötzlicher Knappheit verkürzt, und ihre Bewegungen schienen darauf berechnet, Cassidys Blick herauszufordern, statt in seine Schranken zu weisen. Einmal führte er sie, um sie für ihre Bemühungen zu belohnen, ins Kino, und sie hielt in stummer Ergebenheit seine Hand und blickte mehr auf Cassidy als auf die Leinwand, und ihr Gesichtchen tauchte auf und unter im blauen Feuerschein.
Seine Beziehung zu Helen und Shamus erweckte in Angie Mawdray weder Entrüstung noch Neugier.
»Wenn Ihnen die beiden gefallen, dann soll’s mir recht sein«, sagte sie. »Und er ist ein famoser Schriftsteller, ehrlich. So gut wie Henry Miller, da können die Scheißkritiker sagen, was sie wollen.«
Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft hatte sie die Stimmen am Telefon unterscheiden gelernt und verband ohne weitere Fragen. Einmal bat Shamus sie in seinem russischen Akzent, mit ihm zu schlafen. Er sei Hochwürden Rasputin, sagte er, und habe die Nase voll von den ewigen Prinzessinnen.
»Er würde es tun«, sagte Cassidy lachend, »wenn er die geringste Möglichkeit hätte.«
»Was gibt’s da zu lachen?« fragte Angie pikiert.
Meistens jedoch sagte er, er sei Flaherty, ein irischer Fanatiker auf der Suche nach Mäßigkeit.
25
›Bei Hall‹, nannte Shamus es.
Ihr Ziel war der ›Zusammenstoß‹, es war sogar noch besser
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