Wachstumsschmerz
Sofa.
»Ein verdammter Haudegen, der Manne!«, keucht Flo und wischt sich winzige Schweißperlen von der Oberlippe.
Ich nicke nur, denn reden kann ich noch nicht wieder. Ich habe die Kondition einer Achtzigjährigen, weshalb wir oft nur einen Krug tanzen.
»Wow, du hast echt schon fast alles gepackt, wa?«
Ich zucke mit den Schultern als Antwort.
»Ich mein ja nur, ist ja noch zwei Wochen hin bis zum Umzug. Kommt die alte Schabracke eigentlich mit?«
Die alte Schabracke ist mein Sofa. Bisher haben wir noch nicht über Möbel gesprochen, was ausschließlich daran liegt, dass ich Flo ein wenig Zeit geben wollte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es jetzt tatsächlich passiert. Dass er von allein damit anfängt, flutet mein Herz mit großen Gefühlen.
»Die alte Schabracke müssen wir endlich mal aufgeben. Ich befürchte, die muss nun dahin gehen, wo alle Schabracken zum Sterben hingehen.«
»Und wo ist das?«, fragt Flo mit vorgeschobener Unterlippe, unbewusst das Sofa streichelnd.
»Das ist ein geheimer, wunderschöner Ort, an dem nur Schabracken sind und sonst niemand Zutritt hat. Sie wird es dort lieben, ich schwöre!«
Flo konzentriert sich sehr, um ganz vielleicht eine echte Träne rauszupressen.
»Florian, versuchst du grad wirklich zu weinen? Und ist dir bewusst, dass du das Sofa streichelst?«
Flo rappelt sich auf, drückt das Kreuz durch und klatscht in die Hände.
»O.k., dann lass uns jetzt über Möbel sprechen! Dein Bett oder meins?«
»Keine Ahnung. Ich dachte vielleicht sogar an ein neues Bett. Was Größeres. Was komplett Unbeflecktes!«
»Alles klar, neues Bett. Check!« Flo macht einen Haken auf seinem imaginären Clipboard. »Schabracke haut ab, also mein Sofa, richtig? Check!«
»Ach, lass uns doch einfach alles, was nicht weg soll, in die neue Wohnung bringen und dann vor Ort sehen, was am besten aussieht oder am meisten Sinn macht«, schlage ich vor, obwohl ich den »Check!«-Flo ganz rührend finde. Wenn er sich erst einmal traut, eine Entscheidung zu fällen, dann ist Flo Feuer und Flamme. Der Weg dorthin ist hart, aber am Ziel mangelt es in Flos Welt wirklich nicht an Konfetti. »Alles klar, dann treffe ich mich jetzt mal mit Arne, und wir sehen uns morgen?«
»Jepp.«
»Und wegen der Schabracke …« Ein letztes Aufbäumen.
»Sie wird noch hier sein, wenn du das nächste Mal kommst! Ihr werdet die Möglichkeit haben, euch zu verabschieden, o.k.?«
»Du bist eine grausame Frau, Luise! Wenn du mal alt bist, bring ich dich auch zum Schabrackenfriedhof!«
Es ist bemerkenswert, wie wertlos der größte Teil meiner Einrichtung ist. Bett von IKEA , Sofa vom Flohmarkt (aber auch von IKEA ), ein paar wenige schöne antike Möbel, die eine Dauerleihgabe meiner Mutter sind, und ein kleiner Esstisch, den ich von der Vormieterin übernommen habe. Meine Kleidung ist in BILLY -Bücherregale gefaltet, in der kleinen Küche steht ein alter Apothekerschrank, darin mein spärliches Geschirr: unspektakuläre weiße Teller mit blauem Rand und meine Tassensammlung. Seit fast zehn Jahren sammle ich Kaffeebecher. Meine Angeberstücke sind diverse HBO - und ›Showtime‹-Serien-Becher. Ich habe »Dexter«-, »Californication«-, »Sopranos«- und »Bored to Death«-Becher. Und dann ist da noch ein gelber »Dynamo Dresden«-Becher. Ein Geschenk von Flo, der ihn mir aus Dresden mitgebracht hat, weil ich »doch Ossi« sei. Flo wiederum wird seine »Belle and Sebastian«-, »Kletterama«- und » DSDS «-Becher mit in die neue Wohnung bringen. Eine Aussteuer, die sich sehen lassen kann. Aber sonst hängt mein Herz an nicht besonders vielen Dingen in meiner Wohnung, von persönlichem Kleinkram mal abgesehen.
Eigentlich erstaunlich, wie wenig Entwicklung da in den letzten zwölf Jahren des Alleinewohnens stattgefunden hat. Dies hier ist meine zweite Wohnung, und beim Umzug aus meiner ersten vor sechs Jahren habe ich augenscheinlich große Teile meiner traurigen Einrichtung einfach mitgeschleppt, ohne sie je in Frage zu stellen. Absurd, dass ich seit über einer Dekade auf demselben, bereits gebraucht gekauften Sofa sitze. Spätestens beim letzten Umzug hatte ich eigentlich bereits genug Geld, um mir ein paar vernünftige Möbel leisten zu können, und dennoch habe ich einfach alles in Kartons verpackt und mitgenommen und in der neuen Wohnung wieder ohne Bedenken an seinen Platz gestellt. Vielleicht hinterfragt man Möbel nur dann, wenn sie kaputt oder unerträglich hässlich sind. Solange
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