Wachstumsschmerz
muss!
Und so stehe ich in meinem eigenen Bienenschwarm herum und suche Wurmlöcher.
Und deine blöde Kletterwand! Immer wenn ich im Gästezimmer an der Nähmaschine sitze, kucke ich auf die Sperrholzplatte mit den bunten Griffen. Eine Zeitlang hatte ich versucht, das Beste draus zu machen, und noch nicht fertig genähte Hemden und Jacketts an die Griffe gehängt.
Das hat dich so sehr empört, dass ich aufgegeben habe, das Beste draus zu machen. Ich lasse es jetzt einfach das Schlechteste sein.
Vorhin habe ich nur mal testweise alle Griffe berührt. Einfach, um zu sehen, ob vielleicht dort die geheimen Wurmlöcher versteckt sind.
Sind sie nicht.
I ch habe einen Termin in meiner Talent-Agentur.
Angie, die Chefin, hat mich persönlich angerufen und darum gebeten, was ganz offensichtlich ein schlechtes Zeichen ist.
»Angela! Was kann ich für dich tun?«, hatte ich sie feixend gefragt, wohl wissend, dass es ihr furchtbar unangenehm ist, bei ihrem richtigen Namen genannt zu werden. Als ob er sie an schlimme Zeiten erinnern würde, dabei ist sie einfach in einem von »Urban Outfitters« ausgestatteten Käfig ihrer eigenen Eitelkeit gefangen.
»Ich wollte fragen, ob du mal auf einen Kaffee hier vorbeikommen kannst?«
»Klar. Weshalb?« Mir war vollkommen klar, weshalb. Ich bin ein kleiner Haufen Sand im Getriebe. Mein Welpenschutz ist fünf Jahre nach dem einen guten Werbejob abgelaufen.
»Ach, ich dachte, wir unterhalten uns mal über deine Zukunft, darüber, wie wir weiter zusammenarbeiten wollen.«
»
Ob
wir weiter zusammenarbeiten wollen?«
»Ich sagte
wie
.«
Jetzt sitze ich mit Angela an einem riesigen Konferenztisch aus grobem, unbehandeltem Massivholz und pule mir Holzsplitter aus der Strumpfhose.
»Warum lasst ihr den Tisch nicht mal schleifen? Wenigstens von unten? Ich will gar nicht wissen, wie viele vielversprechende Jungschauspieler da draußen mit Teilen dieses Tisches in den Oberschenkeln rumlaufen!«
Angie ignoriert mich und zündet sich eine Zigarette an.
»Luise, wo willst du eigentlich hin?«
»Jetzt grade?«
»Ja.«
»Nach Hause. Oder wenn ich es mir wirklich aussuchen kann, in dieses Wellnesshotel im Spreewald.«
»Hotel ›Zur Bleiche‹«, korrigiert mich Angie ganz automatisch, bevor ihr bewusst wird, dass ich ihre Frage absichtlich falsch verstanden habe. Dann stöhnt sie, fährt sich durch den Pony und kuckt mich müde an.
»Angie, was soll die Frage? Was genau willst du von mir wissen? Du bist meine Agentin, nicht meine Mutter. Mein Leben muss dir nicht so nahegehen, dass du nachts nicht schlafen kannst.«
»Weshalb musst du immer so eine Pissnelke sein? Auch wenn ich vielleicht nicht bei der Geburt deiner Kinder dabei sein werde, habe ich dennoch das Recht, dich nach deinen Zukunftsplänen zu fragen. Ich leite eine Talent-Agentur, es ist mein Job, dich zu vermitteln. Aber ganz augenscheinlich willst du überhaupt nicht vermittelt werden. Was bedeutet, dass wir uns beide vollkommen umsonst abmühen. Also noch mal: Wo willst du hin? Mit uns?«
Weshalb lässt mich diese Frage nicht in Ruhe? Weshalb hat sie sich in den letzten Jahren nicht gestellt? Weshalb muss auf einmal so irrsinnig viel entschieden werden? Und plötzlich bemerke ich zum ersten Mal, dass das hier vermutlich einfach die erste verkaterte Ruhe nach einem etwa zehnjährigen Sturm ist. Ein Sturm, der mit dem Ende der Schulzeit plötzlich laut und alles verschlingend losbricht. Ein Sturm der Hysterie, ausgelöst von dem Gedanken, nun endlich erwachsen zu sein, unabhängig, frei! Die Schule ist die letzte Kette, die uns an ein scheinbar fremdbestimmtes Leben bindet. Und wenn man das hinter sich lässt, das Abschlusszeugnis noch in den vor Erregung feuchten Händen, tobt plötzlich alles los. Alles rast, alles dreht sich, das ganze Leben explodiert in irren, leuchtenden Farben und regnet in Form unendlicher Möglichkeiten auf uns herab. Und wirklich nichts macht uns Angst! Alles ist aufregend und neu und so sexy, weil wir selbst bestimmen dürfen, ja sollen, was von diesem enormen Buffet der Chancen in unsere Mägen wandern soll und was nicht. Und so stopfen wir uns die Mäuler voll und schwärmen aus und suchen uns erste Wohnungen, erste Jobs, verdienen unser erstes Geld und geben es mit wirren Augen und unkontrolliert schleudernden Armen aus und kaufen billige, aber eigene Autos, tanzen und ficken, mit wem wir wollen, wir verhüten nur unzureichend, aber wir werden nicht schwanger, und Aids ist so 90 er, und wir
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